Berns goldene Zeit
(2008)

Kritik an dem 4. Band der Reihe Berner (Leer-)Zeiten

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Vergleiche auch;

Berns mutige Zeit - Kritik

Berns mächtige Zeit - Kritik

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Eine Fieberkurve? - Eine seismographische Aufzeichnung?

Liest man die umständliche Legende zu dieser unverständlichen Grafik, so handelt es sich um eine grafische Darstellung der bernischen Gesetzgebung im 18. Jahrhundert.

Die Berner Geschichtswissenschaft ist endgültig in den Niederungen des Absurden gelandet.

aus: Berns goldene Zeit, Bern 2008, S. 510

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Ein erster Einwand gegen die Berner Zeiten: Wer schaut in diese unförmigen, teuer produzierten Wälzer hinein? Wem dienen sie? - Sicher nicht einem aufgeschlossenen Historiker und Heimatfreund!

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Der Unsinn der Reihe Berner Zeiten

Vor zehn Jahren (1999) ist mit Berns große Zeit,  dem "15. Jahrhundert", der erste Band einer neuen Darstellung der Berner Geschichte und Kulturgeschichte erschienen. - Zuerst wußte ich nicht, was der Zweck der Übung war. Erst mit dem Erscheinen von Berns mutige Zeit (2003) - dem "13. und 14. Jahrhundert" gewidmet - wurde die geheime und offene Absicht des Unternehmens deutlich.

Der vorliegende Band setzt die Darstellung von Berns mächtige Zeit (2006) fort.

Das Unternehmen Berner Zeiten ist eine monumentale Fehlleistung in jeder Hinsicht: Die einzelnen Bände sind zwar prachtvoll mit meist farbigen Abbildungen und Tafeln illustriert; aber die schweren und großen Bücher sind unhandlich und alles andere als lesefreundlich.

Vor allem empört bei Berner Zeiten die dahinter stehende Absicht: Die alten nicht existenten Zeiten des bernischen Mittelalters und der frühen Neuzeit werden in diesen Bänden so dargestellt, als habe es diese Epochen und Inhalte tatsächlich gegeben. Die Geschichts- und Chronologiekritik wird ignoriert. Statt dessen setzt man einmal mehr auf ein "Spätmittelalter", eine "Reformation" und eine Neuzeit als angebliche Tatsachen.

Dabei hat die Aufsplitterung in unzählige Themen, der reiche Bilderschmuck, auch einen geheimen Zweck: Es soll den Leser blenden und kritische Gedanken unterdrücken.

Die Herausgeber wissen, daß die alte Geschichte fragwürdig ist, inhaltlich und chronologisch eine Schöpfung, Erfindung und Fälschung aus viel späterer Zeit. Aber dagegen fällt ihnen nichts anderes ein, als einmal mehr die alte Geschichtsleier neu zu beschwören.

Die voluminösen Bände von Berner Zeiten sind in skandalöser Weise unkritisch. Alles wird so dargestellt, wie es angeblich gewesen ist. Nirgends gibt es auch nur einen Anflug von Kritik.

Berner Zeiten beschwört ein überholtes Geschichtsbild.

Die Ankündigung des neuen Bandes

Das reich illustrierte Buch versucht, das ganze Panoptikum der Zeit Albrecht von Hallers vor Augen zu führen. Es will die bernische Geschichte im 18. und frühen 19. Jahrhundert als eine Epoche vorstellen, in der sich in zahlreichen Bereichen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen und kulturellen Lebens ein spannungsvolles Miteinander und Gegeneinander von Statik und Beharrung einerseits und von Dynamik und Aufbruch andererseits eingestellt hat. Im späten Ancien Régime sind entscheidende Grundlagen des Aufbruchs in die Moderne gelegt worden, die in starken Kontinuitätslinien über die Revolutionsära hinaus in das 19. Jahrhundert gewirkt und dort ihre volle Gestaltungskraft entfaltet haben.

Die vollmundige und gestelzte Anpreisung des neuen Bandes von Berner Zeiten verspricht viel. - Aber was bietet das neue Buch tatsächlich?

Berns goldenes Zeitalter?

Berner Zeiten will die Geschichte der Stadt von den ersten Anfängen bis zur Gegenwart darstellen. Der methodische Ansatz ist dabei so konventionell wie zuvor: Jedes Jahrhundert bekommt einen Band. Jetzt ist die Reihe am 18. Jahrhundert - Berns angeblich goldener Zeit.

Das Vorwort beschwört denn auch alte Poeten wie Theokrit und Hesiod, Horaz und Vergil, redet über Herder, Hölderlin und über Miltons Paradise Lost. Die Dichtung muß als Begründung für die goldene Etikettierung jener Geschichtsepoche herhalten.

Der Historiker weiß, daß das 18. Jahrhundert, die ganze Zeit seit der Reformation, in der Schweiz und in Bern verdächtig ruhig ist und nur wenig Inhalt hergibt. Aber statt dieser Merkwürdigkeit nachzugehen und damit zu einem neuen Geschichtsbild vorzustoßen, wird in Berns goldener Zeit wie schon im vorherigen Band Berns mächtige Zeit eine Epoche der halkyonischen Ruhe beschworen, die es nicht gegeben hat.

Die Entstehung Berns im 18. Jahrhundert

Die Geschichts- und Chronologiekritik entlarvt den falschen Denkansatz von Berns goldener Zeit: Die heutige "abendländische" Kultur, die Spätantike, das Mittelalter, die Renaissance, der Barock und Rokoko, schließlich der Klassizismus, sind alles Gewächse des 18. Jahrhunderts.

Unsere Kultur hat sich am Anfang des 18. Jahrhunderts - man sage besser vor 300 Jahren - nicht fortgesetzt, sie ist erst dann entstanden. 

Also ist das "mittelalterliche" und später das barocke und klassizistische Bern auch erst vor weniger als 300 Jahren gegründet und aufgebaut worden. - Alle Dinge, welche bereits in den drei vorherigen Bänden verbraten wurden, also die große, die mutige und mächtige Zeit Berns, gehören eigentlich in die angeblich goldene Zeit hinein. Die historische Optik ist chronologisch völlig verzerrt. Die Stadt wurde in wenigen Jahrzehnten aufgebaut. Und auch das ganze alte Schrifttum, ist in kaum zwei Generationen geschaffen worden.

In dem Werk Die Ursprünge Berns. Eine historische Heimatkunde Berns und des Bernbiets. Mit einem autobiographischen Anhang (2022) erkläre ich diese Dinge ausführlich.

Man kennt zum Beispiel die berühmte Stadtansicht Berns von Merian. Diese stellt die Stadt im baulichen Gepräge der Gotik dar, mit den "mittelalterlichen" Wehrbauten, aber auch schon mit den neuen Schanzen. Datiert wird dieser Stich in die "Mitte des 17. Jahrhunderts". - Aber damals gab es weder den Namen Bern, noch den Platz, noch die alten und neuen Sprachen. Es herrschte finsterste Vorzeit.

Die Merian-Ansicht von Bern ist frühestens auf  1770 zu setzen. - Die Darstellung dieses angeblich goldenen Jahrhunderts von Bern ist vollkommen falsch.

Auch der vierte Band von Berner Zeiten steht also großenteils auf historisch und chronologisch unsicherem Boden. Die Entstehung Berns ist vollkommen neu zu begreifen.

Albrecht von Haller: der bernische Säulenheilige des 18. Jahrhunderts

Die Zentralfigur des bernischen 18. Jahrhunderts ist der Universalgelehrte Albrecht von Haller. Dieser überstrahlt das ganze Jahrhundert.

Aber bei dieser Gestalt ist Kritik anzumelden: Das Werk des Genies Albrecht von Haller ist viel zu groß und umfangreich. Ein Einzelner konnte unmöglich diese Menge an Druckschriften, Manuskripten, Buchbesprechungen und Briefen schreiben. - Sogar die Biographie Hallers ist als erfunden anzusehen.

Man lese darüber: Albrecht von Haller, ein zu großes Berner Genie.

Wenn schon die Figur Albrecht von Hallers unglaubwürdig wirkt, was wissen wir real von den übrigen Schriftstellern und Gelehrten Berns vor dem Ende des 18. Jahrhunderts?

Kunst und Kultur

Aus den oben genannten Gründen ist auch die Baugeschichte Berns neu zu begreifen. Es gab vor etwa 300 Jahren noch keine Stadt. Und den Ort, den Merian darstellt, hat sich erst weit nach der Jahrhundertmitte so dargeboten.

Auch die Umgestaltung Berns in barockem und klassizistischem Sinne, die vielleicht ab etwa 1780 anzusetzen ist, wird in dem Band falsch dargestellt.

Beispielsweise wird als Werk des protestantischen Kirchenbarocks die Kirche von Morges bezeichnet und nicht ganz richtig mit "1776" datiert. - Wie aber kann man die stilistisch gleichartige Heiliggeistkirche von Bern auf "1726 - 1729" datieren? - Ist es plausibel, zwischen zwei identische Bauwerke fünfzig Jahre einzuschieben?

Vergleiche hierzu den Artikel: Das unmöglich frühe Baudatum der heutigen Heiliggeistkirche in Bern.

Das letztere Beispiel beweist: Die konventionellen Historiker übernehmen blind alle Inhalte und Daten, welche das gefälschte Schrifttum des 18. Jahrhunderts geschaffen hat. Sie fragen nicht nach Plausibilität, stellen nirgends kritische Überlegungen an.

Das zeigt sich auch am Beispiel der frühen Kritik an der Tell-Legende:

Angeblich 1760 - sicher Jahrzehnte später - veröffentlichten Uriel Freudenberger und Gottlieb Emanuel von Haller anonym ihre Kritik an Tell als dänisches Märchen.

Aber Kritik an dieser Sage gab es schon vorher, etwa durch den Freiburger Historiker "Guillimann" (vgl. meine Beiträge zur Freiburger Historiographie des 18. und 19. Jahrhunderts) und durch Jakob Heinrich Grasser. Diese Geschichtsschreiber werden absurd "um 1600" angesetzt.

Ist es plausibel, daß die Kritik an Wilhelm Tell in Helvetien über 150 Jahre ruhte?

Über die Tell-Legende lese man in meinem Buch Die alten Eidgenossen. Die Entstehung der Schwyzer Eidgenossenschaft im Lichte der Geschichtskritik und die Rolle Berns (2022)

Gelungenes und Absurdes

Der Band ist reich bis überreich an Inhalt und Abbildungen. Für viele Reproduktionen von Bildern und Kunstwerken ist man dankbar. Einige Dinge hört selbst ein Geschichtskundiger zum ersten Mal.

Doch auch hier gibt es absurde Dinge. Ich erwähne etwa am Schlusse des Bandes zwei Grafiken (S. 509 und 510), die man zuerst für seismographische Darstellungen hält. - Aber liest man die umständlichen Legenden und den ebenso verqueren Inhalt des Artikels, so erfährt man, daß es sich um grafische Wiedergaben von bernischer gesetzgeberischer Tätigkeit handelt (vergleiche die obige Abbildung).

Die bernische Geschichtswissenschaft ist endgültig ins Nirwana des Absurden abgesunken.

Anhang: Die Kander-Umleitung

In Berns goldene Zeit findet sich ein Artikel über die Umleitung der Kander in den Thunersee. Diese wurde bekanntlich im 18. Jahrhundert gemacht. Aber stimmt das Datum "vor 1720"?

Da ich mich sehr für vorgeschichtliche Flußumleitungen interessiere, hat dieser Beitrag für mich viel gebracht. Es gibt über dieses gewässertechnische Bauwerk nämlich ein Gemälde und einen alten Plan. Diese Dokumente bestätigen, was ich schon seit langem ahnte: Die Kander-Umleitung ist sicher nach der Mitte des 18. Jahrhunderts anzusetzen. Aber wie damals üblich, wurde das Werk um Jahrzehnte nach rückwärts verschoben.

Die Arbeiten am Durchstich
des Strättlighügels zur Umleitung der Kander. Anonymes Ölgemälde. Um 1750?

aus: Berns goldene Zeit, Bern 2008, S. 74