Der Vergilius Vaticanus

und

Die Bibel von Moutier-Grandval

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Zwei Beispiele für die phantastische und abstruse
Überlieferungsgeschichte von illustrierten Manuskripten

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Linkes Bild: Codex Vaticanus - rechte zwei Bilder: Bibel Moutier-Grandval

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Einleitung

Gemäss der Geschichts- und Chronologiekritik hat die europäische Schriftkultur ein unteres Zeit-Limit, das in den 1760er Jahren anzusetzen ist. Als älteste literarische Werke sind die biblischen Schriften, viele antike griechisch-römische Autoren, hernach die Kirchenväter und die Chroniken anzusehen.

Es gilt ferner zu wissen, dass die schriftliche Überlieferung der ersten Generation ausschliesslich aus Druckwerken bestand.

Handschriften wurden erst ab etwa 1775 zum Zweck der Aufbewahrung in Archiven und Bibliotheken geschaffen.

Schnell hat sich eine eigentliche Manuskript-Industrie entwickelt. Diese kopierte gedruckte Texte aus der Anfangszeit des Buchdrucks in Manuskripte.

Also entstanden Handschriften der Bibel und einzelner biblischer Bücher, Manuskripte von griechischen und lateinischen Autoren, sowie von Schriften der Kirchenväter.

Die Abschriften von gedruckten Büchern hatten den Zweck, den älteren Autoren ein höheres Alter zuweisen zu können: Der Buchdruck war eine neue technische Erfindung und deshalb ungeeignet zur künstlichen Veraltung von literarischen Werken.

Gedruckte Bücher wurden bereits in den Anfängen oft reich illustriert, zuerst besonders mit Holzschnitten.

Handschriftliche Bücher und sonstige Texte wurden teilweise zu eigentlichen Kunstwerken ausgestaltet mit reich verzierten Initialen, Bordüren und Illustrationen, den so genannten Miniaturen - durchgehend auf Pergament. - Die "mittelalterliche" Buchmalerei ist ein Teil der Kunstgeschichte.

Es geht hier nicht um die künstlerische Beurteilung der Buchmalerei, sondern um die groteske Chronologie und die absurde Datierung jener Handschriften.

Also soll es illustrierte handschriftliche Bücher vom Ausgang der Antike (4. Jahrhundert nach Christus) bis weit in die Renaissance gegeben haben. Das bedeutet eine angeblich über 1500jährige Kunsttradition.

Eine bereinigte Überlieferungsgeschichte der illuminierten Handschriften jedoch zeigt durchwegs ein stereotypes Bild, nämlich:

1) eine phantastisch weit zurückliegenden Entstehungszeit, die bis zu den Karolingern (um 800 AD) oder bis zu Spätrom (um 400 AD) reichen kann;

2) daran anschliessend ein unglaublich langer Zeitraum der Nichtexistenz  oder virtuellen Existenz, der erst in der Renaissance, in den Jahrzehnten vor 1800 oder danach real wird.

Nach der erfolgten Datierung der Handschrift in einer weit entfernten Phantasiezeit verschwindet das Kunstobjekt also für Jahrhunderte oder sogar ein ganzes Jahrtausend von der Bildfläche der Geschichte.

Irgendwann in der Renaissance kommen die ersten Hinweise auf die Existenz Gegenstands. Und zu Beginn des 19. Jahrhunderts taucht das Manuskript in der realen Welt auf.

Der Vergilius Vaticanus

Das illuminierte Manuskript mit Texten von Vergil soll "um 400 nach Christus" an einem unbekannten Ort geschaffen worden sein.

Die Datierung erfolgt dabei durch die Datierung der verwendeten Handschrift, einer CAPITALIS RUSTICA, angeblich "spätrömisch".

Doch wird behauptet, es sei "im frühen 9. Jahrhundert AD" ins Kloster Tours gekommen: Ist das Manuskript spätrömisch oder erst karolingisch?

Erste unbestimmte Erwähnungen gibt es aus der Renaissance. Raffael soll Zeichnungen nach dieser Handschrift angefertigt haben. - Das wäre nach einer revidierten Chronologie um 1780 gewesen.

Das Buch kam nachher in die Vatikanische Bibliothek, angeblich "um 1600", sicher erst kurz nach 1800.

Die Bibel von Moutier-Grandval

Das illustrierte Bibelmanuskript soll "um 840 nach Christus" in Tours hergestellt worden sein (wie der Vergilius Vaticanus!) und sei zu irgendeiner Zeit ins Kloster Moutier-Grandval im Berner Jura gekommen.

Nach der Aufhebung der Abtei (im späteren 18. Jahrhundert) gelangte die Handschrift nach Delsberg (Delémont).

Dort wurde sie kurz nach 1800 auf dem Dachboden (!) eines Hauses gefunden.

Nach etlichen Besitzerwechsel befindet sich die Bibel von Moutier-Grandval seit 1836 in der British Library.

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4.2025