Plurs - Piuro:
      ein alpenländisches Pompeji oder Vineta

      Der Campanile von Plurs – Piuro
      und die Legende seiner Entstehung

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      Aktueller Einschub: Die Bergsturz-Ereignisse von Ende August und anfangs September 2017 in Bondo GR beweisen: Solche Naturkatastrophen sind im gebirgigen Bergell (Val Bregaglia) keine Seltenheit. Ein Bergsturz in früher historischer Zeit in jenem Tal hat sicher die Legende vom märchenhaft reichen Städtchen Plurs (Piuro) angeregt.

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      Die Legende von Plurs und seinem Campanile
      wird auch in dem in dem Buch des Autors behandelt:

      Historische Denkmäler in der Schweiz
      34 helvetische Erinnerungsstätten, kritisch betrachtet; Norderstedt 2021

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      Der Campanile von Plurs (Piuro)
      im Bergell (Val Bregaglia, Italia)

      Foto: Autor, 1977

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Der Campanile von Plurs (Piuro)
im Bergell (Val Bregaglia, Italia)

Foto: Autor, 1977

Vergleiche auch: Fotos des Autors

      Der Campanile von Piuro: Angeblich letzter und intakter Rest des "1619" verschütteten Städtchens Plurs.

      Kritische Überlegungen verweisen diesen Glockenturm ins späte 18. Jahrhundert. Er ist mitnichten ein Überbleibsel eines Bergsturzes. - Plurs ist eine Legende.

      Ein neues Werk von 1988 über den Bergsturz von Plurs ist etwas vorsichtiger in den Behauptungen: Die Geröll-Lawine wäre bis auf die andere Talseite zu dieser Kirche gekommen. Das Kirchenschiff sei weggerissen, der Turm jedoch erhalten geblieben! - Aber der Campanile steht auf einer kleinen Felsplatte, kann also unmöglich einen Anbau gehabt haben.

      Übrigens: Es soll dies der Campanile der ehemaligen Kirche Sant'Abbondio sein!

      BONDO hat die gleiche Etymologie: ABBONDIO > BONDO.

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    • Die Glocken von Plurs - Piuro

      Die Glocken von Plurs

      aus: La frana di Piuro del 1618.
      Storia e immagine di una rovina
      ; Piuro 1988, p. 36/37

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      Plurs: Transport einer Glocke

      aus: Beat Fidel Zurlauben: Tableaux topographiques ... de la Suisse, ca. 1790

      aus: Helmut Presser: Vom Berge verschlungen, in Büchern bewahrt; Bern 1957; 15

      Die Darstellung der Bergeller Landschaft
      im unteren Teil des Tals wirkt realistisch. Und der Zeichner ist ehrlich:
      Es gab keine Ruinen eines Städtchens.

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      Wie bei Vineta wurden auf dem Platz des untergegangenen Städtchens angeblich die Glocken von Plurs geborgen. Die beiden Klangkörper versehen heute ihren Dienst im Campanile der Kirche Santa Maria in Prosto (Val Bregaglia).

      Aber schaut man sich die Glocken genauer an, so möchte man ihnen ein Alter von weniger als 200 Jahren geben.

      Und tatsächlich: Die eine Glocke wurde 1859 geborgen. Die andere 1811 und 1814 "wieder" gegossen (vgl. die Abbildungen).

      Also stammen beide Glocken aus dem 19. Jahrhundert. Aber um des größeren Prestiges willen wurden sie mit der Legende von Plurs verbunden.

      Doch die Legende von der Bergung der Glocken war schon lange vorher entwickelt, wie die Abbildung aus dem Werk von Zurlauben zeigt.

Der Bergsturz von Plurs

1619 (nach anderen Angaben 1618) soll das reiche Städtchen Plurs durch einen gewaltigen Bergsturz vom südlich gelegenen Berg Conto (oder Conte) verschüttet worden sein. Der Ort gehörte damals zu den Bündner Untertanengebieten und bezog seinen Reichtum offenbar vom Verkehr über den Maloja-Pass.

Die Naturkatastrophe erregte im damaligen Europa großes Aufsehen. Mehrere Flugschriften über das Ereignis von Plurs wurden herausgegeben.

Ein Bergsturz mag historisch sein, vielleicht daß er auch einige Häuser weggerissen und überdeckt hat. Aber solche Katastrophen gibt es in den Alpen häufig (vergleiche den Bergsturz von Bondo, 24.8.2017). Die reale Geschichte selbst wird erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts plausibel. - Das Städtchen Plurs ist eine nachträglich geschaffene Fiktion.

Plurs - Piuro: vor und nach dem Bergsturz

Kupferstich aus dem 18. Jahrhundert

Die Darstellung ist phantastisch. Man beachte, dass nach dem Bergsturz
durch den Aufstau der Mera ein See entstanden sei.
Die Glocken von Plurs hätte man wohl wie bei Vineta aus dem Gewässer läuten hören.

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Der Campanile: ein letzter Rest des alten Plurs?

Nun wird behauptet, beim Felssturz sei der Campanile der Kirche von Plurs auf die andere, die nördliche Talseite geschoben worden, aber erhalten geblieben (vgl. die Abbildung an der Spitze). Der Turm sei also das einzige Überbleibsel dieses alpenländischen Vineta.

Doch wenn man nur etwas kritischen Verstand aufwendet, wird schnell klar, daß hier etwas nicht stimmt.

Der Campanile von Plurs steht wie gesagt auf der anderen Talseite des angeblich verschütteten Städtchens und zwar auf einer Felsplatte am Rande eines Wildbachs, der von Norden auf die Mera, den Tal-Fluß zueilt.

Man überlege: Ein Glockenturm soll bei einem Bergsturz um viele hundert Meter versetzt worden, aber sonst erhalten und aufrecht geblieben sein. Das ist rein unmöglich! Der Kirchturm wäre bei einem solchen gewaltsamen Transport unweigerlich umgestürzt und zerstört worden.

Und man schaue sich den Baustil des Campanile von Plurs an: Das ist später Barock des 18. Jahrhunderts.

Fügt man diese Elemente zusammen, so ergibt sich folgende Erklärung:

Der Campanile ist bewußt als Denkmal geschaffen worden; er war nie mit einer Kirche verbunden. – Um die spätere Entstehung zu verschleiern, wurde die Legende erfunden, das Monument sei ein letzter Überrest des verschütteten Städtchen Plurs.

Ereignisse, Daten und Zeugnisse klaffen hier auseinander. – Und erstaunlich ist, daß bereits im 18. Jahrhundert sogar Bauwerke einzig zu dem Zweck errichtet wurden, eine bestimmte historische Legende zu belegen. Plurs – Piuro im Bergell ist ein Beispiel dafür.

Plurs ist das bündnerische Pompeji

Plurs ist ein alpenländisches Vineta: Man kennt die Sage der Stadt Vineta, die vor Usedom in der Ostsee versunken sein soll.

Plurs ist Vineta = Venedig, damit auch Neapel.

Und folglich bedeutet Plurs = Neapel auch Pompeji.

Plurs wird auch in der Literatur als "alpenländisches Pompeji" bezeichnet. Das ist nicht nur ein bildhafter Vergleich, sondern in einem gewissen Sinne der Ursprung der Geschichte: Das pompejanische Ereignis kann sowohl am Fuße des Vesuvs als auch im Bergell angesiedelt werden. Noch mehr: Die Katastrophe, welche die Stadt Pompeji zerstörte, muß aus dem Blickwinkel einer verkürzten Chronologie ebenfalls um diese Zeit stattgefunden haben.

Natürlich könnte sich in PLURS (PLM oder PRM) auch OPHIR, das sagenhafte Goldland des Alten Testaments verbergen.

Aber OPHIR (PRM) ist als PERU (PRM) zu deuten, das große Goldland in der Neuen Welt.

Wenn dem so ist, so bestätigt dies auch die Entstehungszeit der Bibel und der darin enthaltenen Legenden: Diese sind erst gegen die Mitte des 18. Jahrhunderts denkbar.

Die Geschichts- und Chronologiekritik läßt somit ständig neue und sensationelle Zusammenhänge erkennen.

Religionsgeschichtliche Hintergründe
des Bergsturzes von Plurs

Die Vesuv-Eruption war keine gewöhnliche Katastrophe. Da sie während der großen Geschichtserfindung, nach meinem Dafürhalten in den 1730er Jahren erfolgte, bedeutete sie für die damalige Menschheit ein göttliches Signal. - Diese Zusammenhänge habe ich in Die Matrix der alten Geschichte (2013) dargestellt.

Das Gleiche gilt für Plurs. Der Bergsturz wurde im damaligen Europa als Fingerzeig Gottes verstanden. Das Ereignis fiel nämlich in die Zeit der Glaubensspaltung.

Da die Zeitstellungen um diese Zeit noch völlig unsicher sind, ist nicht einmal sicher, welche Katastrophe vor- und nachher war: die Zerstörung von Pompeji oder diejenige von Plurs.

Dem fiktiven Plurs wurde eine große religionsgeschichtliche Bedeutung zugeschrieben.

"1597" soll dort ein Religionsgespräch über den Stellenwert der Messe stattgefunden haben.

Und um diese Zeit soll in Plurs ein führender Leugner der Trinität namens Gerolamo Turriani Pfarrer gewesen sein. - Ein Anti-Trinitarier, also Häretiker als Stadtpfarrer! - Man kann erraten, daß die Streitschriften, die nach dem Bergsturz entstanden, den Irrglauben als göttliche Strafe für das Städtchen hinstellten!

Doch schon der Name des Theologen weist auf einen trojanischen Zusammenhang: TURRIANI = TRJM = TROJAM, Troja!

Das Veltlin soll um 1618 protestantisch gewesen sein. Während des Dreißigjährigen Krieges hätten die Spanier dann die reformierte Häresie ausgerottet: Der Bergsturz von Plurs als Fanal einer religionspolitischen Wende?

Wiederholt soll festgestellt werden, daß der kirchengeschichtliche Hintergrund als erfunden anzusehen ist. Aber die Legende war es, die dem Ereignis von Plurs ihre besondere Bedeutung verlieh.

Der Borgo von Piuro - Plurs

Älteres Gemälde

Die Darstellung des Städtchens ist reine Fantasie.
Angeblich sei der Ort zu beiden Seiten der Mera angelegt worden.

23.2.2004, 4/2009/21.6.2010/9.2011/2013/2014, 2017