Der Goldschatz von Erstfeld: eine Fälschung

Kritik an einem Sensationsfund


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Der Goldschatz von Erstfeld: Gesamtansicht des Fundes: vier Torques und drei Ringe

aus: Gold der Helvetier, Zürich 1991, S. 15

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Einleitung

Schatzfunde gehören zur Gattung archäologischer Quellen, die sich ihres Ranges und ihrer Attraktivität wegen größter Breitenwirkung erfreuen.

Mit diesen Worten beginnt René Wyss seine Monographie von 1975 über die berühmten Ringe von Erstfeld. - Der Autor hat Recht: Sowohl bei den Fachleuten wie beim Publikum kann man sicher sein, daß solche Funde beachtet werden. Gold überstrahlt selbst Silber und wirkt ungleich mehr als Gegenstände aus Eisen oder Bronze.

Goldsucher wie Schatzgräber, aber auch Archäologen, sehnen sich nach Goldfunden. Mit solchen Entdeckungen wird das Interesse an dem gelben Edelmetall angeheizt.

Die Begeisterung für Goldfunde hat ihre Kehrseite: Wenn es sich um bearbeitetes Edelmetall handelt, also Münzen oder Kunstgegenstände, ist jedesmal zu überlegen, ob die Gegenstände tatsächlich aus den alten Zeiten stammen, in die sie gesetzt werden.

Bei jedem Goldfund muß die Möglichkeit einer Fälschung erwogen werden. Aus der Sicht der Geschichts- und Chronologiekritik sind die alten Zeiten nicht dort, wo man sie hinsetzt. Und die "Kelten" wie "Römer" sind spätere Bezeichnungen, welche die Funde mehr verunklären.

Gold gleißt. Diese Eigenschaft führt häufig dazu, daß Kritik, Fragen und Einwände unterdrückt werden.

Beim Goldschatz von Erstfeld hatte ich seit längerem meine Zweifel.

Der goldene Fund von 1962

Der Goldschatz von Erstfeld wurde 1962 entdeckt. Auf der rechten Seite des Reusstals im Kanton Uri wurden oberhalb von Erstfeld Verbauungen ausgeführt. Es galt die gefährliche Ribitaler Rüfe am Ende des Lochertals durch bauliche Maßnahmen, durch die Anlage einer Lawinensperre zu entschärfen.

Zwei italienische Bauarbeiter waren beschäftigt, mit einem Bagger einen hangseitigen 70 Kubikmeter großen Block zu entfernen, unter welchem ein kleinerer Stein lag. Zwischen diesen beiden Brocken, unter neun Metern lockeren Schuttmassen, kam der goldene Fund angeblich am 21. August zum Vorschein.

Die beiden Bauarbeiter hielten Familienrat. Und durch die Vermittlung einer Ärztin konnten die beiden Ehefrauen der Arbeiter bereits am 23. August bei Emil Vogt, dem Direktor des Schweizerischen Landesmuseums in Zürich vorsprechen und den in Tücher eingewickelten Fund zeigen, nämlich vier goldene Halsringe.

Den zweiten Teil des Fundes, die drei goldenen Armringe, zeigten die beiden Italienerinnen erst zwei Tage später den gleichen Herren im Landesmuseum in Zürich.

Die sieben Goldschmiedearbeiten wiegen zusammen 640 Gramm 22-karätiges Edelmetall.

Im Museum in Zürich sind die goldenen Ringe aus der Geröllhalde oberhalb von Erstfeld im Kanton Uri seither verblieben.

Lokaltermin dreier Herren mit dem ausländischen "Finder" des Goldschatzes
an der Fundstelle oberhalb von Erstfeld, August 1962

aus: René Wyss: Der Schatzfund von Erstfeld, Zürich 1975, S. 8

Man beachte die für die Begehung einer Geröllhalde völlig ungeeignete Bekleidung und Ausstattung der drei Herren
 (neben dem italienischen Arbeiter links): Anzug, Hut, Halbschuhe, Aktentasche.

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Die Auffindung des spektakulären Goldschatzes ist gut dokumentiert - und trotzdem unglaubwürdig in den Einzelheiten und im Zusammenhang. - Und daß die Goldringe wirklich aus "antiker" Zeit stammen, in jener Geröllhalde versteckt und über ganze Epochen wunderbar erhalten blieben, klingt märchenhaft.

Der Fundort wurde zum Beispiel gleich als "historischer Ort eines Staatsaktes" bezeichnet.

Was dieser Kauderwelsch-Ausdruck bedeuten soll, wissen die Götter.

Aber eines ist sicher: Der Goldfund von Erstfeld wurde zum Voraus als Jahrhundertfund geplant und bezeichnet!


Einzelheiten über die Goldringe von Erstfeld

Der Schatzfund besteht wie gesagt aus sieben Goldringen. Drei der vier Halsringe (Torques) sind sich stilistisch sehr ähnlich, der vierte hat einige Abweichungen und ist vor allem einfacher in der Ausführung.

Bei den Armringen bilden die Stücke 5 und 6 wiederum ein Paar. Der Ring 7 wiederum stimmt mit dem Halsring 4 überein.

Alle sieben Goldringe sind sich sehr ähnlich, sowohl was die Motivwahl wie die Komposition der Menschen- und Tierfiguren angeht, aber auch in ihrem Goldgehalt und in ihrer Erhaltung.

Zweifellos stammen alle sieben Ringe aus der gleichen Werkstatt oder vom gleichen Künstler.

Die "keltische" Art des Dekors der Ringe ist offensichtlich. Besonders fällt die stilistische Nähe zum sogenannten "Waldalgesheim-Stil" auf, benannt nach einem Goldfund in Westdeutschland.

Die Archäologen spekulieren beim Goldfund von Erstfeld um "Staatsgeschenke" oder eine "Mitgift", sogar eine Kollektion eines Goldschmiedes, welche in einem Sommerhalbjahr in der erwähnten Geröllhalde abgelegt und nicht wieder abgeholt wurden.

Doch ein solcher Depotfund aus grauer Vorzeit - auch wenn man eine imaginäre "La Tène-Zeit" wegläßt, ist so wenig plausibel, daß man die Spekulationen gleich vergessen kann.

Der Frauenschmuck ist praktisch neuwertig, wie ein Archäologe sagt. - Neuwertiger Goldschmuck aus grauer Vorzeit?

Wir denken an eine Schöpfung kurz vor der Auffindung.

Goldschatz von Erstfeld: Die Halsringe (Torques) 1 + 2

aus: René Wyss: Der Schatzfund von Erstfeld; Zürich 1975, S. 41


  Einwände und Widerlegung

Man muss vorausschicken, daß eine Kritik an der Echtheit des Erstfelder Fundes mit unfairen Voraussetzungen starten muß: Die Akteure des Fundes sind verstorben. Die Ringe können nur in Abbildungen in Büchern und als vergoldete Kopien im Museum betrachtet werden. Die Fundstelle ist zur Fundzeit großräumig verändert worden und lohnt deshalb keinen Lokaltermin.

Und last but not least werden uns die Fundgegenstände so gezeigt, wie man sie sehen will. - Es liegen keine Berichte oder Abbildungen über die Goldringe zur Zeit der Auffindung vor. Man erfährt nur, daß die Ringe in einem exzellenten Zustand gefunden worden seien.

Doch die ganze Geschichte von dem Fund von Erstfeld enthüllt bei der Betrachtung aus Distanz viele Widersprüche und Einwände. Der Verdacht einer Fälschung kommt auf und wird zur Gewißheit.

Die  Kritik läßt sich mit folgenden Punkten zusammenfassen:

1) Die Fundumstände wirken hanebüchen: Da sollen ein paar ausländische Arbeiter an einer steilen Rüfe mit einem Bagger gearbeitet haben. Und zwischen tonnenschweren Blöcken und meterhohem Gesteinsschutt seien sieben goldene Ringe zum Vorschein gekommen - vollständig und unbeschädigt wohlgemerkt.

Wie konnten diese Ringe so lange Zeit unversehrt in der Geröllhalde liegen? Hat sie jemand in einen Hohlraum zwischen zwei großen Blöcken hineingeschoben oder versteckt?

Lassen wir die traditionelle Chronologie beiseite, so müßten solche heikle kunsthandwerkliche Gegenstände spätestens nach ein paar Jahrhunderten durch den Bergdruck verbogen oder zerquetscht worden sein.

Aber der Fundbericht hält ausdrücklich fest, daß an den Ringen fast keine Reparaturen nötig gewesen seien.

Wer glaubt eine solche wundersame Erhaltung von Ringen an einem steilen felsigen Hang in einem Bergtal?

2) Der Fundort war eine Geröllhalde, die gerade geräumt wurde. Für eine Fälschungsabsicht war das ideal: Niemand kann mehr die ursprüngliche Situation rekonstruieren. Jede Nachprüfung der Fundumstände an Ort ist sinnlos. Man ist gezwungen, den Fundberichten zu glauben - oder diese abzulehnen.

3) Man müßte annehmen, daß die Ringe in einer Gefahrensituation an einem unwegsamen und unzugänglichen Ort - eben in einer Geröllhalde - deponiert wurden. - Aber wer legt schon Gegenstände von so hohem Wert an einer Stelle ab, wo sie bestimmt niemand mehr findet - nicht einmal die Person, welche sie versteckte.

Nicht nur die Auffindungsgeschichte ist abstrus. Die Hypothese, es handle sich um eine Ablage aus grauer Vorzeit, wirkt ebenso unwahrscheinlich.

3) Die Ringe haben alle einen Goldgehalt von durchschnittlich 22 Karat, entsprechend etwa 94 % purem Edelmetall. - Damit kommt ein technologischer Einwand ins Spiel. Angenommen, die "Keltenzeit" habe tatsächlich massive goldene Schmuckgegenstände herzustellen vermocht. Wie konnten sie eine so große Masse Gold von dieser Reinheit zusammenbringen?

Der Goldfund von Erstfeld wiegt nämlich zusammen 640 Gramm. 

Die Alten förderten hauptsächlich Flußgold, nicht Berggold. - Es gibt wohl Goldflittchen aus Flüssen, welche eine Reinheit von über 90 % erreichen. Aber bei größeren Mengen ergibt sich ein Mittelwert, der unter jenem Wert liegt. Die Standardisierung des Goldgehaltes ist erst mit der Technik des 19. Jahrhunderts möglich geworden.

Das Edelmetall von Erstfeld ist echt, aber in neuester Zeit gegossen worden.

4) Die Goldringe von Erstfeld bestehen aus massivem Gold. - Nun verwendeten die Alten das Edelmetall für Schmuckstücke meistens in Form von Goldblech oder feinen Drähten. Massiv golden waren nur die Münzen. Obwohl Gold schon in alten Zeiten sehr beliebt war, muß man festhalten: Verschwendung konnte man sich nicht leisten. Massive goldene Gegenstände mit sehr hoher Reinheit gibt es erst seit dem 19. Jahrhundert, nicht vorher.

5) Der Schatzfund von Erstfeld ist von Arbeitern in den Alpen gefunden worden. Und gleich darauf kam er ins Landesmuseum nach Zürich - man möchte fast sagen: Der Fund gelangte unverzüglich an die richtige Adresse.

Nun aber ist das Landesmuseum Zürich nicht nur eine Sammelstelle von schweizerischem Kulturgut. - Bereits ein paar Jahrzehnte vorher kam eine eindeutige Fälschung - ebenfalls aus purem Gold - sofort nach der Entdeckung zu der gleichen Institution nach Zürich.

Die Rede ist von der Goldbüste des Marcus Aurelius von Avenches.


Goldschatz von Vidy - Goldbüste von Avenches - Goldschatz von Erstfeld

Im April 1939 kam bei Ausgrabungen auf dem Tempelgelände des sogenannten Cigognier in Avenches, dem antiken Aventicum, eine 1, 6 kg schwere Goldbüste zum Vorschein, die angeblich den römischen Kaiser Mark Aurel darstellt. - Der genaue Fundort war ein bereits größtenteils leergeräumter Abwasserkanal (!) im Hof des Tempels.

Seit 2000 habe ich durch kunstgeschichtliche und technologische Vergleiche, aber auch durch eine Analyse der Fundumstände und der Protagonisten der Bergung nachgewiesen, daß jene Büste vom Material zwar echt ist, aber zweifellos erst kurz vor der Auffindung geschaffen wurde.

Der Goldbüste von Avenches von 1939 ging übrigens drei Jahre vorher im gleichen Kanton Waadt ein ähnlicher spektakulärer Goldfund voraus. In der römischen Siedlung von Vidy in Lausanne am Ufer des Genfersees wurden genau zwei mal 36 stempelfrische (!) Goldmünzen aus klassisch römischer Zeit entdeckt, alle im gleichen Raum, unberührt und unverschoben.

Die Goldmünzen von Vidy bilden mit der Goldbüste von Avenches einen Zusammenhang. - Und der Goldfund von Erstfeld kann wie der angebliche Mark Aurel von Avenches nur in Zusammenhang mit dem Zürcher Landesmuseum geschaffen worden sein.

Man weiß, daß seit dem 20. Jahrhundert nicht mehr wie früher Private, sondern die offizielle Archäologie und Kunstgeschichte  die bedeutendsten Fälschungen herstellen. Im 19. Jahrhundert schuf Schliemann seinen Schatz des Priamos noch als Einzelgänger. Aber schon der Pergamon-Altar in Berlin war ein Gemeinschaftswerk von Abenteurern, Archäologen und offiziellen Stellen.

Goldener Ring über Uri

Die Geschichte von der Auffindung von sieben Ringen aus purem Gold in einer unzugänglichen Geröllhalde im Kanton Uri ist zu märchenhaft, um wahr zu sein. - Aber sie paßt in den geistigen Kontext der Schweiz der damaligen Zeit.

Um 1962 wirkte immer noch der Geist der nationalen Selbstbehauptung aus den Jahren des Zweiten Weltkrieges. Der militärische Réduit-Gedanke verlieh den sogenannten Urkantonen, den Waldstätten und dem Gotthard-Gebiet, eine beinahe mythische Qualität.

Kein Wunder deshalb, daß gerade der Kanton Uri, das Tal nördlich des Gotthard-Passes, zum Fundort des "keltischen" Goldschatzes ausersehen wurde.

Ein anderer Zusammenhang ist ebenso sonderbar, gleichsam eine Art Treppenwitz der Weltgeschichte.

1941 erschienen von Eduard Renner (1891 - 1952) eine Sagensammlung aus dem Kanton Uri. Die Geschichten veröffentlichte der Autor unter dem Titel:

"Goldener Ring über Uri"

Das Buch vertrat eine animistische Weltanschaung voll von Göttern, Dämonen, Hexen.

Es fügte sich ganz in die Strömungen rund um die sogenannte geistige Landesverteidigung ein. Diese gipfelten im Bild der Schweizer als Volk der Hirten, mit dem Gotthard als zentrales Gebirge.

Emil Vogt, der damalige Direktor des Landesmuseums Zürich

Aus den Darlegungen ist klar geworden: Der Goldschatz von Erstfeld wurde in enger Zusammenarbeit mit dem Landesmuseum Zürich "entdeckt".

Da fragt man natürlich nach Personalien.

Direktor jener Bundesanstalt war seit 1961 der Archäologe Emil Vogt (1906 - 1974). Dieser umtriebige Wissenschafter hat die Forschung über die Ur- und Vorgeschichte seiner Zeit entscheidend mitgeprägt. - Von ihm stammen Fachausdrücke wie Horgener Kultur oder Cortaillod-Kultur.

Nachdem er Direktor des Landesmuseums geworden war, scheint sein Ehrgeiz noch größer geworden zu sein. Und die Anerkennung blieb nicht aus:

1966 bekam Emil Vogt zu seinem Geburtstag eine Festschrift Helvetia Antiqua. Die erste Illustration zeigt natürlich ihn selbst (siehe unten).

Die Liste der Gratulanten ist selten umfangreich: Über 900 (!) Leute und Institutionen haben sich aufführen lassen.

Bei so viel Ruhm und Ehre wird nochmals deutlich:

Die goldenen Ringe von Erstfeld würden ohne Emil Vogt und das Schweizerische Landesmuseum nicht existieren.

Emil Vogt, Archäologe


Literatur

Gold der Helvetier; Zürich 1991 (Katalog)

Guggisberg, Martin A.: "Goldreiche, aber friedliche Leute". Bemerkungen zum Goldschmuck der Helvetier; in: Kunst + Architektur in der Schweiz, Jahrgang 51 (2000), S. 14 - 22

Guggisberg, Martin A.: Der Goldschatz von Erstfeld: ein keltischer Bilderzyklus zwischen Mitteleuropa und der Mittelmeerwelt; Basel 2000

Helvetia Antiqua. Festschrift Emil Vogt; Zürich 1966

Wyss René: Der Schatzfund von Erstfeld. Frühkeltischer Goldschmuck aus den Zentralalpen; Zürich 1975