Unterdessen (2005) ist aus dieser auf 7 Bände angelegten Werkausgabe von Fomenko der zweite Band erschienen. Dieser wird auf dieser Webseite besprochen unter:

A. Fomenko: History: Fiction or Science? vol. 2 (2005)


Vgl. auch die eigenen Gedanken zur Geschichtskritik & Chronologiekritik (2016):

Manifest der Geschichtskritik - A manifesto to clarify historical criticism - Manifeste du récentisme historique

Frontispiz von Joseph Justus Scaliger: De emendatione temporum; Coloniae Allobrogum (Genf) 1629

Bearbeitung: Ch. Pfister


Fomenko in Englisch

Von A. Fomenko ist bisher nur das allerdings grundlegende Werk in zwei Bänden Empirico-statistical analysis of narrative material and its applications to historical dating (Dordrecht 1994) erschienen – wenn man von der Internet-Publikation gemeinsam mit Gleb Nosovskij New chronology and a new concept of the English history (www.revisedhistory.org) absieht. – Um so mehr ist man überrascht, daß nun zum zweiten Mal ein englischer Verlag den Mut gefaßt hat, ein Werk des russischen Autors zu veröffentlichen.

Das Buch gibt sich als erster Band einer auf sieben Bände geplanten Werkausgabe von Fomenko. Dem Inhaltsverzeichnis zu schließen ist eine Gesamtbetrachtung der Weltgeschichte beabsichtigt, die von Rom über Griechenland zu Byzanz, Asien und Rußland reichen soll – also ein sehr kühnes Unterfangen.

Der erste Eindruck, den man von dem neuen englisch übersetzten Werk von Fomenko bekommt, ist positiv. Die Paperback-Ausgabe ist sehr handlich, trotz des Umfangs von fast 600 Seiten. Die Zweispaltigkeit macht den Text gut lesbar. Eine Menge - schwarz-weißer - Illustrationen und Graphiken erleichtert den Zugang zu der trotz allem schwierigen Materie.

Kennt man das erste in Englisch erschienene Werk von Fomenko von 1994, so ist einem das jetzige Buch nicht ganz neu. Trotz einer völlig anderen Anordnung der Kapitel wiederholt es über weite Strecken die Argumentation des früheren. Das ist sogar ein Vorteil. So nämlich findet auch der erstmalige Leser den Zugang zu Fomenko und seinen Gedanken.

Viele Tabellen, welche schon im vorherigen Werk publiziert waren, finden sich hier wieder, in noch lesbarerer Form. - Die Parallelitäten zwischen den verschiedenen Herrscherfolgen und Geschichtsepochen werden besser sichtbar.

Das Werk besteht aus sieben Kapiteln, die wiederum in viele Unterkapitel unterteilt sind. Die Übersichtlichkeit ist gut; auf die einzelnen Themen kann leicht zugegriffen werden. Das ist wichtig, weil ein Register hier fehlt.

Dem Textteil ist ein Anhang von über 120 Seiten angefügt. Hier finden sich verschiedene Einzelreihen zu alten Chroniken wie Thukydides, Titus Livius, Baronius und den Geschichtsbüchern der Bibel, sowie eine Betrachtung der Parallelitäten zwischen der armenischen Geschichte und den bereits bekannten historischen Textbüchern des Westens.

Auch ein umfangreiches Literaturverzeichnis findet sich im Annex. Dieses ist glücklicherweise getrennt nach russischen und ausländischen Autoren. – Dabei fällt auf, daß im Gegensatz zum Werk von 1994 auch die nichtrussische Literatur gut vertreten ist und viele Raritäten aus älterer und neuerer Zeit verzeichnet werden. - Sogar deutsche Geschichtskritiker wie G. Heinsohn und U. Topper sind bis etwa 2000 vertreten.

Fomenkos Thesen lassen sich unmöglich in wenigen Sätzen zusammenfassen. Deshalb soll ein kurzer Überblick den Inhalt skizzieren. Anschließend werden einige besondere Punkte und ein paar Einzelheiten hervorgehoben.

Das Buch beginnt mit einer allgemeinen Betrachtung des Problems der historischen Chronologie. Wie zu erwarten tauchen bald die Namen Scaliger und Petavius auf und werden von nun an auf fast jeder Seite erwähnt. Die Geschichte der Chronologie und die Chronologiekritik – von De Arcilla über Newton, Hardouin, Morosov und Kammeier - wird erzählt. Auf die Fragwürdigkeit der Datierungen von alten Bauwerken wird an vielen Beispielen eingegangen. Ausführlich findet auch die Quellenfrage an Beispielen wie Tacitus und Poggio Bracciolini Erwähnung. - Mit der Radiokarbon-Methode als Datierungswerkzeug wird abgerechnet.

Das zweite Kapitel widmet sich den astronomischen Datierungen, das dritte den Datierungen der Apokalypse, das vierte den astronomischen Aussagen im Alten Testament.

Im fünften Kapitel kommen mit vielen Tabellen die bereits von früher bekannten mathematisch-statistischen Methoden zum Nachweis der Parallelitäten der älteren Geschichtsbücher zum Zuge. Nahtlos finden diese Argumentationen im sechsten Buch durch die Skizzierung einer globalen chronologischen Übersicht eine Fortsetzung.

Das siebte Buch schließlich beschäftigt sich mit den sogenannten „Dark Ages" in der mittelalterlichen Geschichte und bringt dazu wiederum zahlreiche kunstgeschichtliche Überlegungen.

Im Grossen und Ganzen präsentiert sich die chronologische Argumentation in Fomenkos neuem Werk so wie man sie aus seinem ersten englischen Werk gewohnt ist. Die Zeitstellungen werden als Konstrukt von Gelehrten des 16. und 17. Jahrhunderts erkannt. Himmelskundliche Argumente spielen eine große Rolle. Wiederum wird besonders auf den Almagest des „Claudius Ptolemäus" und die Zodiak-Abbildungen an der Decke des Tempels von Dendera in Ägypten eingegangen. Sternerscheinungen wie der Stern von Bethlehem, die Himmelserscheinung von „1054", die ekliptischen Erscheinungen bei der Kreuzigung Christi und diejenigen im Werk von Thukydides  werden ausgiebig besprochen.

Vor allem wird weiter die Grundthese der Zerlegung des chronologischen Systems in vier kurze Chroniken (the decomposition of the global chronological map into the sum of four short chronicles) (358) ausgeführt. – Eine neue Chronologie, die in den folgenden Bänden geboten werden soll, müsse folglich alle duplizierten Geschichten nach vorwärts schieben und als Ereignisse des 11. bis 17. Jahrhunderts erkennen.

Das globale chronologische Diagramm, die Parallelitäten zwischen Herrschen und Reichen werden wieder aufgenommen und sind erfreulicherweise durch viele neue Beispiele und Graphiken erweitert (256 ff.).

Also findet man neu etwa eine Graphik, welche die Parallelitäten zwischen den alten Habsburgern und dem russischen Reich der Goldenen Horde zeigt (284). - Oder es werden alle drei byzantinischen Reiche in einem einzigen Diagramm übereinander gelegt und so als eine identische Blaupause erwiesen (290). - Sogar die letzten Könige des antiken Athens werden als Parallelitäten zu den Herrschern des letzten, dritten byzantinischen Reiches erkannt ((304).

Bei den sieben Königen Roms wird neu Tarquinius Priscus (Tarquinius der Ältere) als Parallelität zu Friedrich Barbarossa gesehen (306).

Der Beginn der authentischen Geschichte nach Fomenko, Gregor - Hildebrand = Jesus und Eigenheiten der Scaliger-Chronologie

Bei Fomenkos Zeitverschiebungen muß ich eine Kritik anbringen: Für ihn sind alle Ereignisse vor etwa 1000 AD Phantom-Duplikate (phantom duplicates). Das System von Scaliger vervielfältigt Ereignisse, die sich seit dem 11. Jahrhundert zugetragen haben.

Diese These findet sich bereits im ersten Werk und ist unverständlich. Fomenko selbst bringt eine Menge Beispiele, die zeigen, daß vor dem 16. und 17. Jahrhundert kaum ein Schimmer von wahrer Geschichte vorhanden ist. Der Autor verkürzt die Geschichte und postuliert gleichzeitig doch wieder ein etwa 500-jähriges Phantom-Zeitalter.

Der Grund liegt für Fomenko darin, daß sich in den mittelalterlichen Aufzeichnungen eine falsche Zählweise des Datums von Christi Geburt eingeschlichen habe. Die ursprünglichen Jahrzahlen hätten nur drei Ziffern gehabt. Das X habe für Christus gestanden, also etwa X + 300 Jahre nach der Geburt des Erlösers. – Darauf wiesen noch die italienischen Bezeichnungen wie trecento und quattrocento hin.

Ohne hier weiter in die Details zu gehen, meine ich, daß die vierstelligen Jahrzahlen erst mit der Gregorianischen Reform eingeführt wurden, daß der Bezug auf das 11. Jahrhundert also arbiträr ist.

Zentral geht es hier einmal mehr um Hildebrand, den hochmittelalterlichen Jesus. Fomenko gebührt das Verdienst, diese Gestalt in ihrer Bedeutung gewürdigt zu haben – gleich wie etwa Basilius den Grossen.

Gegenüber dem ersten Buch behauptet Fomenko hier, daß Christus - Hildebrand 1053 AD geboren und 1086 gestorben sei. – Damit aber wird die erfundene Geschichte berichtigt, was unzulässig ist. – Ich halte weiter dafür, daß Hildebrand 1020 geboren, 1049 nach Rom gekommen und dort 1053 seine Wirksamkeit begonnen habe, unterstützt durch die Stern-Erscheinung von 1054. – Was ich Fomenko dagegen abnehme, ist die Symmetrie von Hildebrands Lebensdaten um die Achse 1053: Der deutsche Jesus hat 33 vor und 33 Jahre nach dem Zeitpunkt 1053 gelebt. – Solche numerologischen Spiegelbilder erkenne ich seit kurzem in der alten Chronologie in immer größerer Zahl. – In der Neubearbeitung der Matrix werde ich darauf eingehen.

Dann beleuchtet Fomenko gewisse Eigentümlichkeiten der Scaliger-Chronologie.

In jenem System gibt es zum Beispiel eine merkwürdigen Lücke von dreihundert Jahren, zwischen Christi Geburt und 300 AD (367 ff.). In Form einer Graphik weist Fomenko nach, daß nach Scaliger alle außer zwei Königreichen in zwei zeitlichen Epochen existierten: in einer Zeit vor und einer solchen nach dieser Lücke. - Nur das Römische Reich und das Parther-Reich machten hier eine Ausnahme.

Fomenko schließt aus diesem Umstand, daß die Scaliger-Chronologie offensichtlich um diese Lücke die verschiedenen duplizierten Chroniken zusammengefügt hat. Die Folge dieser schlecht verklebten Nahtstelle sei etwa, daß antike Königreiche vor dem Beginn und mittelalterliche Reiche nach dem Beginn der neuen Ära anfingen.

Der Reichtum an Einzelbeobachtungen in Fomenkos Buch ist ebenso wertvoll wie seine allgemeinen Betrachtungen zur historischen Chronologie und zur alten Astronomie.

Auch wenn die meisten Themen schon im ersten Werk erwähnt werden, macht es nichts aus, davon nochmals zu hören. Viele Argumentationen sind besser ausgearbeitet als vorher und reicher illustriert. – Es können hier nur einige Beispiele erwähnt werden, und diese sehr summarisch.

Fomenko erkennt etliche neue Duplizitäten zwischen antiken und Renaissance-Geistern: Sowohl Platon hat einen Idealstaat verfaßt wie sein neuzeitlicher Vetter Gemisthos Plethon. – In Plutarch verbirgt sich Petrarca: Beide verfaßten Lebensbeschreibungen berühmter Männer.

Bei allen diesen Parallelitäten wird klar, daß nur die Scaliger-Chronologie die zusammengehörigen Erscheinungen in unnatürlicher Weise auseinander gerissen hat. Tatsächlich gehören antikes und neuzeitliches Christentum zusammen.

Das Problem Pompeji wird von Fomenko wiederum erörtert. Und er wiederholt seine Erkenntnis:

 Pompeii is a medieval town of the Renaissance epoch. (64).

Die absurd langen Bauzeiten der „mittelalterlichen" Kathedralen werden von Fomenko am Beispiel von Köln hinterfragt. Es ergebe sich, daß diese Bauwerke viel jünger sind und nur durch eine falsche Chronologie eine so lange Geschichte bekommen haben.

Die ausführlichen und reich illustrierten Überlegungen zur Astronomie des Neuen Testamentes und zum Zodiak, die in der Offenbarung beschrieben werden, sollen hier übergangen werden.

Das alte Griechenland und besonders die Ruinen der Akropolis werden von Fomenko ausführlich besprochen. Hier wird die Erkenntnis bekräftigt, daß der moderne Purismus seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts auf dem Burgberg von Athen alle ottomanischen und christlichen Spuren getilgt hat und so das irreale Bild einer „klassischen" perikleischen Anlage „vor 2400" Jahren suggeriert. In Tat und Wahrheit beginnt die Geschichte Griechenlands wohl eher am Ausgang des Mittelalters. - Und der Parthenon war vermutlich eher eine christliche Kathedrale in antiker Verkleidung.

Viel Platz widmet Fomenko den Parallelen zwischen dem Christentum und antiken Religionen. Heidnische Götter-Darstellungen aus dem keltischen, mesopotamischen und ägyptischen Kulturkreis zeigen oft verblüffende Ähnlichkeiten mit christlichen Darstellungen. Statuen von sitzenden Pharaonen sind auf der Rückseite mit Kreuzen verziert. Ebenso trägt ein assyrischer Herrscher das christliche Kreuz als Amulett.

Besonders augenfällig ist die Verwandtschaft zwischen dem Mithras-Kult und der Christus-Verehrung. Mithras trägt auf vielen Darstellungen den gleichen Strahlenkranz um das Haupt wie Jesus. Daraus folgt für Fomenko, dass die beiden Religionsformen identisch, also mittelalterlich sind und nur durch das Trugbild der Scaliger-Chronologie zeitlich auseinandergerissen wurden.

Erfreut bin ich besonders zu sehen, wie auch Fomenko in seinem neuesten Werk erkennt, daß die Daten der frühen Drucke offenbar nach vorne verschoben werden müssen (355 f.). – Nicht nur dies: Der Autor mutmaßt richtig, daß auch die Lebensdaten vieler berühmter Künstler und Gelehrten der Renaissance zu weit hinten stehen: Sowohl Kopernikus wie Kepler und sowohl Leonardo da Vinci wie Michelangelo sind erst gegen Ende des 16. oder zu Beginn des 17. Jahrhunderts plausibel.

Bei den Parallelitäten zwischen Geschichtsepochen ist erfreulich, daß nun auch die alte russische Geschichte eingebunden ist mit einer Graphik, welche das heilige römische Reich des Spätmittelalters als Original oder Kopie der russischen Dynastie der Goldenen Horde zeigt (284). – Der berühmte Iwan der Schreckliche etwa erscheint als Duplizität von Karl V.

Als erster untersucht Fomenko auch die mittelalterliche Geschichte Armeniens und entdeckt interessante Parallelen mit der römischen Geschichte (522 ff.). - Die Liste der armenischen Könige enthält nämlich so durchsichtige Namen wie HUSSIK I. = JESUS, SAHAK I. = ISAAK und MUSCHE I. = MOSES. - Wiederum ist man erfreut, daß die Zentrierung der Betrachtung auf Mitteleuropa durchbrochen wird.

Fast genial ist Fomenkos Analyse der Inschrift auf der Grabplatte von Rudolf von Habsburg in Speyer. Habsburg ist dort deutlich als NABAS-Burg = NEU-Burg oder Neuenburg (Novy Gorod) zu lesen - ein wichtiger Hinweis!

Als letzte Einzelheit sei noch die Augustus-Statue von Primaporta erwähnt, die auf Seite 386 abgebildet ist und nach Fomenko wie eine visuelle Lernhilfe für die Scaliger-Chronologie (a visual learning aid to the Scaligerian history textbook) (386) anmutet. Nach dem Autor kann diese Statue deshalb frühestens im 17. Jahrhundert entstanden sein, denn die früheren Darstellungen jenes Herrschers zeigten ihn anders. – Tatsächlich ist das Standbild von Primaporta 1863 „entdeckt" worden. - Und das Datum eines Fundes entspricht meist der Entstehungszeit.

Fomenkos neues Werk hat fast keine Schwächen, aber eine Menge Vorzüge. Für die Geschichts- und Chronologiekritik bedeutet es eine wichtige literarische Wegmarke. Dies ist um so mehr zu begrüßen, weil das erste Werk zwar ebenfalls sehr gut, aber vom Preis für Normalsterbliche fast unerschwinglich ist (ca. 300 €!). Somit könnte das neue Buch eher den Durchbruch zu einer zahlreicheren Leserschaft schaffen.

Wie gesagt sollen auf diesen ersten Band noch sechs weitere folgen. Man wird also in einigen Jahren das ganze Erkenntnis-Gebäude von Fomenko in englischer Übersetzung studieren können.

Die deutsche geschichtskritische Wissenschaft – wenn davon schon heute gesprochen werden darf – ist darauf natürlich fast etwas neidisch. Aber der Umfang des Werkes von Fomenko widerspiegelt die Tatsache, daß dieser Forscher eine offizielle Stellung innehat, auf ein ganzes Institut zurückgreifen kann und vor allem einen zeitlichen Vorsprung von zwanzig Jahren mit dem Thema aufweist.

Nun sind glücklicherweise nicht nur die Mittel und die Zahlen entscheidend. - Wenigstens ich hoffe, das Werk von Fomenko in fruchtbarer Weise ergänzen und in die Kritik der älteren Geschichte einbringen zu können. – Mit der Mär von den alten Eidgenossen habe ich damit begonnen; mit der Neuschreibung der Matrix der alten Geschichte hoffe ich diese Ansätze auszubauen.

11/2003