Eine vorgeschichtliche Flußumleitung
der Aare im Berner Seeland

Mehrere Indizien deuten darauf hin, daß bereits die "Kelten" oder "Römer"
in den Wasserhaushaushalt des Grossen Mooses eingegriffen haben.

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Das Grosse Moos im Kanton Bern
und seine historische Hydrologie

Grafik: Autor

Die Grafik findet sich auch in dem Buch
Die Ursprünge Berns (2022).

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Das Grosse Moos im Kanton Bern
und sein Wasserhaushalt

Als Grosses Moos bezeichnet man die ehemalige Sumpflandschaft zwischen Bielersee, Neuenburgersee und Murtensee. Dieses Gebiet zeichnet sich durch einen komplizierten Gewässerhaushalt aus.

Unterhalb von Bern vollführt die Aare in den neun Kilometer langen Schlaufen der Engehalbinsel eine Kehrtwendung nach Westen.

Oberhalb der Burgstelle Oltigen mündet die Saane, französisch Sarine von Süden her in die Aare.

Im gleichen Gebiet wendet sich die Aare gegen Norden.

Seit der Ersten Juragewässerkorrektion, in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, wird die Aare bei Aarberg westwärts durch den Aare-Hagneck-Kanal in den Bielersee geleitet.

Vorher floß die Aare bei Aarberg nordwärts, östlich am Bielersee vorbei, um östlich von Biel in einer großen Schlaufe, dem heutigen Häftli bei Büren an der Aare, nach Nordosten an den Südfuß des Juras zu wenden.

Die Alte Aare zwischen Aarberg und Meinisberg ist heute zum großen Teil Naturschutzgebiet.

Die erwähnte Erste Juragewässerkorrektion wurde notwendig, da das Grosse Moos - wie der Name ausdrückt - zu einem großen Sumpfgebiet geworden war. Zudem hatte die Aare in diesem Tiefland wegen der ständig steigenden Geröllablagerung im Flußbett eine ungenügende Abflußkapazität. Häufige Überschwemmungen waren die Folge.

Durch die Gewässerkorrektion wurde die Aare über den erwähnten Hagneck-Kanal in den Bielersee geleitet, der so als Überlaufbecken diente.

Durch die Anlage des Nidau-Büren-Kanals zwischen Biel und Büren an der Aare wurde die Abflußmenge des Bielersees vergrößert. Dadurch wurde der Seespiegel um mehrere Meter gesenkt. Die bisherige Sankt Petersinsel erhielt so eine Landverbindung mit Erlach.

Auch die Zihl zwischen Neuenburger und Bielersee wurde begradigt.

Das wasserbauliche Großwerk des späten 19. Jahrhunderts erwies sich jedoch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als ungenügend und führte zur Zweiten Juragewässerkorrektion der 1960er und 1970er Jahre.

Dabei wurden vor allem der Broyekanal zwischen Murtensee und Neuenburgersee und der Zihlkanal vertieft. Und auch das Aarebett zwischen Büren und Flumenthal wurde für eine größere Abflußkapazität verändert.

Als Ergebnis dieser großen menschlichen Eingriffe in den Wasserhaushalt des Berner Seelands ist dieses Flachland heute vor Überschwemmungen sicher.

Die Aare floß zuerst in den Neuenburgersee

In alten Zeiten soll die Aare bei Aarberg eine Wendung nach Westen genommen und sich durch das Grosse Moos in den Neuenburger See ergossen haben.

Die Erdgeschichte läßt sich mit keinen Mitteln darstellen. Wir können nur Mutmaßungen anstellen.

Aber ich meine, die Aare sei nach der letzten "Eiszeit" - die keine Kaltzeit, sondern vor allem eine Reihe von erdgeschichtlichen Katastrophen darstellte - in den Neuenburgersee geflossen.

Doch wie steht es unter diesem Gesichtspunkt mit der Alten Aare östlich des Bielersees zwischen Aarberg und Büren? Ist dieser Lauf etwa jünger als derjenige durch das Grosse Moos?

Wenn letzteres der Fall ist, dann muß irgendwann in der Vorgeschichte der Lauf der Aare im heutigen Seeland künstlich verändert worden sein. - Wir hätten es mit einer alten Flußumleitung zu tun.

Das Thema der künstlichen Umleitung von Fliessgewässern in alten Zeiten beschäftigt mich seit langem. Und die gesammelten Erkenntnisse lassen sich jetzt auf die historische Gewässerkunde des Grosses Mooses anwenden.

Die Hypothese von Otto Marti

Der Berner Ortsnamenforscher Otto Marti stellte 1973 die Vermutung auf, die "Kelten" hätten den ursprünglichen Lauf der Aare bei Bargen verändert und so den Fluß ostwärts des Bielersees in Richtung Büren umgelenkt (O. Marti: Aufbruch des Abendlandes, 294).

Marti war Philologe. Aber er beobachtete auch genau die Landschaft und ihre Eigentümlichkeiten. Deshalb hat Martis Hypothese einiges für sich. - Und die folgenden Indizien werden bestätigen, daß der Forscher hier einen genialen Geistesblitz hatte.

Die Hinweise auf eine frühere Flußumleitung

Der erste Fingerzeig für eine Flußumleitung im Berner Seeland ist für mich wiederum ein Ortsname.

Südwestlich von Aarberg, gleich am linken Ufer des heutigen Aare-Hagneck-Kanals, liegt die Ortschaft Bargen.

Der Ortsname BARGEN (PRCM > PRC(LT)M) kommt von PARACLETUM, Paraklet (vgl. auch das Ortsnamen-Lexikon Die Ortsnamen der Schweiz (2022)).

Vom griechischen Begriff Paraklet leitet sich auch der Name BURG ab.

In Bargen stand jedoch keine Burg. - Aber da gibt es noch den französischen Begriff (le) BARRAGE, der Deich oder Staudamm bedeutet.

Bargen liegt am Nordfuß eines Hügelzuges, der sich zwischen der Aare im Osten und dem Grossen Moos im Westen hinzieht.

Die Sache wird langsam deutlich: Um die Aare von ihrer Kehrtwendung nach Westen abzulenken, mußte man bei Bargen einen Damm bauen. Dieser konnte sich im Süden an den erwähnten Bergzug anlehnen.

Der Ortsname Bargen birgt eine Erinnerung an einen vorgeschichtlichen Wasserbau!

Ein anderes Indiz ist ebenso gewichtig:

Westlich von Aarberg zieht eine Römerstrasse in gerader nordnordöstlicher Richtung von Murten bis Studen, dem antiken Petinesca.

Überlegt man sich die Richtung und die geographische Lage dieses Verkehrsweg an, so kann man schließen: Die Strasse wurde zu einer Zeit gebaut, als die Tiefebene westlich des alten Aarelaufs trocken war. - Der Weg mußte kein Überschwemmungsgebiet queren, was sonst große Kunstbauten nötig gemacht hätte.

Man kann es auch anders ausdrücken: Durch die künstliche Richtungsänderung der Aare bei Aarberg wurde die "Römerstrasse" technisch erst möglich!

Schaut man sich die Karte an, so fällt auf, daß die "Römerstrasse" ungefähr parallel dem östlich davon liegenden Aarelauf - der heutigen "Alten Aare" -  entlang führt.

Der Zweck der Aare-Umleitung bei Bargen war also nicht die Melioration des Grossen Mooses, sondern die Anlage eines sicheren Straßenweges durch das Gebiet.

Als weiteres Indiz für die Flußumleitung kann man einen "römischen" Überlaufstollen erwähnen, von dem man 1875 bei Hagneck Spuren entdeckt hat.

Die Trockenlegung des östlichen Seelandes bei Aarberg hat in ihrer Zeit gewirkt.

Erst in nachantiker Zeit - wir sehen das im 18. Jahrhundert - verlor die Flußumleitung ihre Wirkung: Die wachsende Geschiebemenge der Aare unterhalb von Bargen und Aarberg erhöhte den Rückstau von Wasser und führte zu Überschwemmungen; ebenso der Emme-Riegel unterhalb von Solothurn.

Die Erste Juragewässer-Korrektion stellte also in einem gewissen Sinne den Zustand vor der "keltischen" Flußumleitung wieder her.

Andere vorgeschichtliche Flußumleitungen

Auch die konventionelle Wissenschaft ist schon auf Flußumleitungen in antiker Zeit gestoßen. Hier sollen erwähnt werden:

Das große keltische Oppidum von Manching bei Ingolstadt war von einer sieben Kilometer langen Ringmauer in Murus Gallicus-Technik umgeben. Um die rundliche Begrenzung der Anlage erreichen zu können, haben die Erbauer dort die Paar, einen Nebenfluß der Donau, und den kleinen Igelsbach umgeleitet.

Auf dem Gebiet des heutigen Stadtteils Mühlburg in Karlsruhe wurde die Alb in der Nähe des sogenannten Entenfangs von Daxlanden umgeleitet, so daß ein rundliches, von drei Seiten umflossenes Terrain entstand.

Die Flußumleitung der Alb beweist der Name DAXLANDEN: Dieser hat nichts mit dem Tier zu tun. Darin steckt das Wort DEICH. - Für jede Flußverlagerung braucht es Dämme.

Doch es gibt auch ein sicheres weiteres Beispiel für eine alte Flußumleitung in der Schweiz:

Im Gebiet zwischen Rheinau (Kanton Zürich) und Altenburg (Baden-Württemberg) verläuft der Hochrhein bekanntlich in einer doppelten Schlaufe. Dieser Ort war von einem großen keltischen Oppidum besetzt. Der Keltenwall in Altenburg verläuft in der ungefähren Richtung des ursprünglichen Flußlaufs.

Und auch dort liefert ein Ortsname einen Hinweis:

Am linken Rheinufer im Kanton Zürich gibt es einen Ort Dachsen. Dieser liegt genau dort, wo man einen Deich bauen mußte, um den Rhein umzuleiten.

Und die Ähnlichkeit zwischen den Ortsnamen Dachsen und dem erwähnten Daxlanden (Dachslanden) in Karlsruhe ist mehr als nur zufällig.

Der östliche Teil des Grossen Mooses
auf der Dufourkarte (um 1860)