DAS ANKH VON BERN

Überlegungen zur alten Stadtstruktur von Bern,
Bremgarten bei Bern und Avenches (Aventicum)

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Das Thema wird auch behandelt in dem Buch des Autors:

Die Ursprünge Berns.
Eine historische Heimatkunde Berns und des Bernbiets.

Mit einem autobiographischen Anhang. (Norderstedt 2022)

Bremgarten bei Bern, Ansicht von Süden

Aquarell von Albrecht Kauw, angeblich um 1670

Reproduktion mit freundlicher Genehmigung des Historischen Museums Bern

Deutlich erkennt man auf dem Kauw-Aquarell die Kirche von Bremgarten,
dahinter das Schloß des 18. Jahrhunderts und nochmals dahinter,
auf einem künstlich angelegten Hügel, den alten Burgturm.

Sehr schön hat der Künstler hier die charakteristische Fluß-Schlaufe der Aare von Bremgarten
wiedergegeben, so wie sie sich noch heute vom zentralen Teil der Engehalbinsel aus darbietet.

Über den Maler Kauw vergleiche:

Albrecht Kauw - ein Berner Maler um 1770

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Bern als vorgeschichtlicher Platz

Meine Untersuchungen über die Vorgeschichte Berns begann ich mit einer Neubetrachtung des Schlaufensystems der Aare nördlich von Bern mit seinen keltischen Spuren. Die Engehalbinsel und die Halbinsel von Bremgarten erwiesen sich dabei als ein einzigartiges und eigenartiges Oppidum-System, nach welchem man in der ganzen alten Kultur nördlich der Alpen vergeblich nach Vergleichen sucht.

Je mehr ich in diese antike Engehalbinsel nördlich von Bern betrachtete, desto mehr wurde klar, daß in der Aare-Schlaufe von Bern – nur eine halbe Wegstunde südlich der Enge – in vorgeschichtlicher Zeit ebenfalls etwas vorhanden gewesen sein mußte. Wenn die Aare-Windungen der Enge zur Anlage von Befestigungen genutzt wurden, so sicher auch die Schlaufe des gleichen Flusses in Bern: Man würde die Alten nicht verstehen, wenn sie diesen Platz nicht ebenso als hervorragend geeigneten Festungs- und Siedlungsplatz genutzt hätten.

Das Problem bei Bern ist der Nachweis von alten Spuren. Die Schlaufen der Enge waren seit nachantiker Zeit mit Wald bestanden oder als Wiesen und Äcker genutzt. So konnten sich dort bedeutende alte Strukturen und Artefakte im Boden erhalten. Diese erlaubten seit der Mitte des 19. Jahrhunderts nach und nach einen umfassenden Überblick über die alten Siedlungs- und Baugeschichte zu gewinnen.

Im Aarebogen von Bern hingegen entstand später eine „mittelalterliche" Stadt, welche ohne Unterbruch ständig um- und ausgebaut wurde. Daß sich dort wesentliche alte Spuren erhalten haben, kann nach Jahrhunderten als unwahrscheinlich gelten. Grosse Erdbewegungen wären auch mit den heutigen archäologischen Methoden kaum mehr nachweisbar. Und „römisches" Mauerwerk kommt sicher nichts mehr zum Vorschein. – Immerhin sprechen ältere Quellen von alten Mauern, die da und dort gefunden wurden.

Doch schon am Anfang meiner Neubetrachtung der Enge und von Bern hatte ich einen sicheren keltischen Ort in der Aare-Schlaufe des späteren Berns erkannt, nämlich die Burg Nydegg (Nidegg). Bekanntlich hebt sich das Nidegg-Quartier drunten im Flußbogen, am alten Aare-Übergang, noch heute deutlich vom übrigen Baukörper der Altstadt ab. Und gekrönt wird dieser Teil von der gotischen Nydeggkirche, welche nach der Niederlegung der alten Burg Nydegg – meiner Meinung im frühen 18. Jahrhundert – erbaut wurde.

Der Berner Städteforscher Paul Hofer hat seine letzte Monographie der Burg Nydegg gewidmet, welche er in den 50er und 60er Jahren des 20. Jahrhunderts archäologisch untersucht hat. Dabei hat er sich auch die Frage gestellt, ob die Burg oder die Stadt zuerst bestanden haben (Hofer: Nydegg, 135 f.). – Aus heutiger Sicht werden wir eine gleichzeitige Entstehung behaupten müssen.

Burgen habe ich immer für "keltisch", also vorgeschichtlich gehalten, besonders in ihrer ursprünglichen Form als Erdburgen (Pfister: Berner Bär, 106). Nur in einen Teil der Erdburgen wurden später Steinburgen hineingebaut.

Die Burg Nydegg ist auch in dem von mir entdeckten System der keltischen Landvermessung mit der Engehalbinsel verbunden. Beispielsweise liegt Nydegg und das „Römerbad" im Reichenbachwald auf derselben 351° NW-Linie – einer 40er Teilung des Kreises (Pfister: Berner Bär, 74, Abb. 8).

Und wo sich eine Burg befindet, da ist an einem Ort wie dem späteren Bern auch ein Oppidum, also eine größere Befestigung anzunehmen. Die alten Stadtplätze waren nämlich häufig durch einen Dualismus zwischen Burg und Stadt, zwischen burgus und burgum gekennzeichnet. In Bern war dieser Gegensatz ausgeprägt.

Die Aare-Schlaufe von Bern bot auch natürliche Vorteile, welche die Anlage eines zentralen Ortes begünstigen. Auf der Höhe des späteren Zytglogge-Turms hatte das Hochplateau im Norden wie im Süden zwei offenbar natürliche Einschnitte, den Münzgraben und den Steininbrügg-Graben, die sich als Abschnittsgräben für eine Befestigung bestens eigneten.

Die traditionelle Sicht der Stadtentwicklung Berns

Auf diesen Gegebenheiten baut das offizielle Bild der Stadtentwicklung von Bern, welches im Lichte der neuen Erkenntnisse zu berichtigen ist (vgl. Abbildung 1).

Abb. 1: Traditionelle Sicht der Stadtentwicklung Berns

Bearbeitung: Autor

nach: Françoise Divorne: Berne et les villes fondées par les ducs de Zähringen; Bruxelles 1991, p. 206

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Nach den neuesten Erkenntnissen des Autors ist das älteste Bern zwischen Zytglogge und dem späteren Münsterplatz zu suchen. Der Platz zwischen Nydegg und dem späteren Münster (dem Standort einer Kapelle, dann der sogenannten Leutkirche) war zuerst frei.

Auch die erste Stadterweiterung, die Neuenstadt oder Savoyerstadt, liess den Platz im Osten frei.

Erst mit der letzten "mittelalterlichen" Stadterweiterung bis zum Christoffelturm wurde auch die untere Altstadt, die Nydegg und die Matte mit einbezogen.

Bern soll eine bewußte „mittelalterliche" Gründung gewesen sein, historisch drapiert mit der Phantom-Dynastie der Herzöge von Zähringen - einer Art weltlichem Stadtheiligen-Geschlecht.

Die Stadt soll zuerst bis zum Zytglogge geplant und dort mit einem bewehrten Westabschluß versehen worden sein. Die Zunahme der Bevölkerung habe mehrere Stadterweiterungen nötig gemacht. Zuerst die Erweiterung bis zum heutigen Käfigturm, welche Savoyer-Stadt oder Neuenstadt genannt wurde. Hierauf sei als letzte alte Erweiterung ein neuer Westabschluß mit doppelter Wehrmauer bis zur Höhe des heute verschwundenen Christoffel-Turms beim heutigen Hauptbahnhof ausgeführt worden. – Ein letzter Westabschluß durch ein Schanzensystem, das während des Dreißigjährigen Krieges ausgeführt wurde, schuf kaum mehr wesentliche Siedlungsfläche.

Kurz zusammengefaßt beruht die Stadtentwicklung von Bern auf einer Reihe von Etappen, welche den Ort von der Nydegg zuunterst in dem „Sack" auf dem ansteigenden Hochplateau hinauf gegen Westen erweitert haben.

Nur am Rande sei erwähnt, daß die Abschnitte der Stadtentwicklung natürlich auch mit einer bestimmten Chronologie gekoppelt wurden: erster Westabschluß beim Zytglogge „um 1200", „savoyische" Stadterweiterung „um 1250" und zweite Stadterweiterung bis zur Heiliggeistkirche „um 1350".

Paul Hofer glaubte durch Sondierungen in den 1940er und 1950er Jahren sogar noch einen ersten ursprünglichen Stadtabschluß auf der Höhe der heutigen Kreuzgasse, zwischen dem Rathaus im Norden und dem Münster im Süden, entdeckt zu haben (Hofer: Wehrbauten, 18 ff.). – Archäologische Sondierungen 1998 haben diese Behauptung jedoch widerlegt.

Bei diesem Bild einer ursprünglichen Gründungsstadt im inneren Teil der Flußschlaufe und zwei Stadterweiterungen bis zum Beginn der Neuzeit ist es zuerst die überzogene Chronologie, die stört. Ein Gründungsdatum „um 1200" ist absurd. Eine erste Stadterweiterung, die besagte Neuenstadt oder Savoyerstadt, zwischen Zytglogge-Turm und Käfig-Turm in der „zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts" ebenfalls. – Die große zweite Erweiterung bis zum Christoffel-Turm ist auch völlig verfrüht angesetzt.

Die traditionelle Auffassung von der Stadtentwicklung des alten Berns schmeichelt jedoch der heutigen Logik. Also daß man zuerst die inneren Teile eines Flußbogens besiedelte und befestigte und dann nach Maßgabe einer zunehmenden Bevölkerung und Wirtschaftskraft die ganze Schlaufe ausfüllte.

Man vergißt hier, daß es bei Überlegungen zur Vorgeschichte nicht darum geht, den alten Dingen unsere Meinung aufzuprägen. Vielmehr sollte ein Forscher danach trachten, die vermutlichen Leitideen der Alten aufzuspüren. - Nach welchen Grundsätzen und mit welchen Absichten wurden Siedlungen angelegt?

Vermutliche Strukturen des vorgeschichtlichen Berns

Schon bei der Engehalbinsel habe ich am Beispiel des dortigen sogenannten inneren Hauptwalles aufgezeigt, wie Strukturen völlig falsch gedeutet wurden, weil man mit Überlegungen des 20. Jahrhunderts versuchte, vorgeschichtliche Befunde zu interpretieren.

Die Aare-Schlaufe des späteren Berns war in vorgeschichtlicher Zeit zuerst einmal durch eine Burg, die spätere Nydegg-Burg belegt, welche den Flußübergang bewachte.

Zusätzlich muß es auf der Höhe des späteren Zytglogge – durch die beiden erwähnten Einschnitte in das Plateau vorgegeben – einen befestigten Westabschluß gegeben haben. Das Oppidum hätte also die große Fläche zwischen Zytglogge und Graben der Nydegg-Burg ausgemacht.

Da aber der Platz des heutigen Münsters in keltischer Zeit vielleicht durch eine Viereckschanze belegt war und in vorgotischer Zeit durch eine erste Kirche in romanischem Stil, kann ein Oppidum vom Zytglogge bis zur Nydegg bezweifelt werden. Die Stelle des heutigen Münsters lag anfänglich vielleicht außerhalb einer Umwallung.

Vielleicht hat sich das keltische Oppidum nur vom Zytglogge bis in die Nähe der Kreuzgasse erstreckt (vgl. Abbildung 2). – Die auffällige Rundung der Brunngasse im nördlichen Teil der ursprünglichen Altstadt könnte ein Beleg für die elliptische Struktur eines möglichen Ur-Berns sein.

Abb. 2: Mögliche Struktur eines keltischen Berns I

Bearbeitung: Autor

nach: Historischer Atlas der Schweiz; Aarau 1951, S. 16

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Die Deutung der Spitalgass-Anomalie

Ich spreche von der von mir so genannten Spitalgass-Anomalie.  Damit meine ich die Orientierung der Spitalgasse, der Hauptgasse der zweiten großen Stadterweiterung - zwischen Käfigturm und Christoffelturm. Dort sticht dem aufmerksamen Betrachter eines Stadtplans folgende Eigentümlichkeit ins Auge:

Während die Hauptgassen von der Nydegg über den Zytglogge bis zum Käfigturm in geschwungenen Linien verlaufen, hat die Spitalgasse erstens einen geradlinigen Verlauf und macht zweitens gegenüber den älteren Hauptgassen einen fast unnatürlichen Knicks nach Südwesten.

Die Spitalgass-Anomalie läßt sich deuten; die Forscher haben seit langem eine Erklärung dafür: Diese Gasse folge einem „römischen" Limitationsazimut und visiert in 29 Kilometer Distanz das Osttor der Stadtmauer der Römerstadt Aventicum (Avenches) im heutigen Kanton Waadt an.

Mit der keltischen Landvermessung konnte ich errechnen, daß der Himmelswinkel der Spitalgasse 77° NE beträgt – ein Azimut, der häufig vorkommt und noch heute nicht befriedigend gedeutet ist.

Auch fand ich heraus, daß die Spitalgass-Achse nicht nur auf das Osttor der Stadtmauer von Aventicum, sondern auch auf das dortige Nordtor zutrifft. Nimmt man letzteres als Endpunkt, so ergibt sich zwischen diesem und dem Käfigturm sogar eine runde Entfernung von genau 14 keltischen Meilen oder Leugen. Und eine Leuga ist mit 2225 m definiert.

Von Aventicum kommend trifft die 77° NE-Achse am Anfang der Spitalgasse auf die Heiliggeist-Kirche, welche vermutlich an der Stelle eines gallorömischen Heiligtums errichtet wurde. Weiter läuft diese Linie über den Käfigturm und dahinter auf den Chor der ehemaligen Prediger-Kirche. – In Bern liegen also mehrere bedeutende Ankerpunkte auf diesem Azimut.

Auf Grund der Tatsache, daß diese alte Vermessungslinie für den Ort prägend war, kann man erschließen, daß zu Beginn des 18. Jahrhunderts – als man meiner Meinung nach die alte Stadt Bern zum letzten Mal vor dem 19. Jahrhundert zur Gewinnung von Siedlungsplatz erweiterte, daß damals die alten keltischen Wegmasse noch gebraucht, aber bald danach vergessen oder verdrängt wurden. Die sogenannte „Römerzeit" mit Aventicum war also nicht weit vorher.

Ein Ankh im Stadtgrundriß von Bern

Durch Gernot L. Geise von der deutschen Forschergruppe Efodon bekam ich einen wichtigen Hinweis über das Ankh. Und diese Bemerkung regte mich zu diesem Artikel an.

Bekanntlich weise ich in meinem Buch über das antike Bern nicht nur auf die merkwürdige Achse der Berner Spitalgasse hin, sondern auch auf den Umstand, daß keltische Oppida häufig einen rundlichen oder ovalen Grundriß hatten. Evident ist dies etwa im Bernbiet mit der elliptischen Form des mächtigen Ringwalls auf dem Jensberg südlich von Biel (vgl. Pfister: Berner Bär, S. 108, Abb. 14). Aber auch die Höhe des Bantigers, sieben Kilometer nordöstlich von Bern – heute der Standort einer markanten Antennenanlage – war von einer solchen Erdburg mit eiförmigem Grundriß besetzt.

Diese beiden Feststellungen – geradlinige Achse der Spitalgasse in Bern und häufig ovale Grundrisse von keltischen Oppida – veranlaßten Geise zu einer interessanten Bemerkung: Er wies den Autor darauf hin, daß Thomas Riemer, ein früheres Mitglied von Efodon, schon vor vielen Jahren darauf hingewiesen habe, daß sich in der Struktur alter europäischer Städte häufig ein ägyptisches Ankh- (oder Anch-) Symbol finde.

Das Ankh oder Henkelkreuz, auch Nilschlüssel, lateinisch crux ansata genannt, ist ein wichtiges Symbol der ägyptischen Religion. Die dortigen Götter werden häufig mit diesem Attribut in der Hand dargestellt (vgl. Abbildung 3).

Ein Ankh besteht aus einer runden oder ovalen Schleife, einer Art Griff, an welchen sich ein geradliniger Stiel anschließt. Zwischen Stiel und Schlaufe ist ferner ein Querbalken eingefügt. Anders ausgedrückt ist das Ankh ein T-förmiges Kreuz mit einem angefügten Haltegriff.

Abb. 3: Die Göttin Hathor mit einem Ankh-Symbol in der Hand

aus: Hans Biedermann: Knaurs Lexikon der Symbole; München 1998, S. 30

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Ohne hier auf die komplexe Symbolik eines Ankh einzugehen (vgl. dazu: Müller, 2002), so ist nach den Forschungen von Gernot Geise der ägyptische Einfluß auf die keltische oder gallorömische Kultur unbestreitbar. Man könnte sogar behaupten, daß das gallisch-iberisch-italische „römische" Westreich von der Levante, also von Ägypten und Syrien aus kolonisiert worden ist. Sowohl die griechische wie die römische Götterwelt erscheinen als der ägyptischen abgekupfert. – Das Niltal als Ursprung oder als monumentale Grabregion der gallorömischen Kultur – beide Gedanken lassen sich begründen (vgl. Geise, 2002).

Riemer hatte auch behauptet, daß die Ankhs der alten Städte miteinander verbunden waren. Beispielsweise greife der Nilschlüssel von Mainz in denjenigen von Erfurt hinein.

Auf Grund dieser Hinweise sagte Geise, daß die von mir festgestellten zwei merkwürdigen Strukturelemente – gerade Achse der Berner Spitalgasse mit Aventicum verbunden, dazu häufig ovale Grundstruktur keltischer Oppida – vielleicht auch auf Bern zuträfen.

Sogleich suchte ich diese Hypothese nachzuprüfen. Und bald ergaben sich neue Erkenntnisse über die mögliche Struktur eines vorgeschichtlichen Berns.

Die Belege für ein Ankh-Symbol in der Berner Landschaft

Die Entfernung zwischen Bern-Käfigturm und Aventicum-Nordtor wäre also der Stiel eines Ankhs und die rundlich-polygonale Form der 5, 5 km langen Stadtmauer des römischen Avenches der Griff eines Nil-Schlüssels (vgl. Abbildung 4).

Abb. 4: Plan von Aventicum mit der 77°-Linie

Bearbeitung: Autor

nach: Hans Bögli: Aventicum; Avenches 1991, S. 4

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Das Symbol müßte aber doppelseitig sein; also daß sich auch in Bern eine solche Figur nachweisen ließe.

Meine Untersuchungen zeigen rasch, daß dies der Fall war.

Bereits belegt wurde die in keltischen Meilen gerundete Entfernung zwischen Bern-Käfigturm und Aventicum-Nordtor.

Entscheidend war nun, ob sich mit dem Ankerpunkt des heutigen Käfigturms eine „Querstange" belegen ließe. Diese müßte - entsprechend dem Winkel von 77° NE der Hauptachse - einen Winkel von 167° SE/347° NW haben.

Der Nachweis war bald gefunden: Es gibt eine Transversalachse zur Spitalgass-Orientierung. Diese hat im Nordwesten des Käfigturms die Burgstelle „Burg" bei Rapperswil (Kanton Bern) als Ankerpunkt, im Südosten aber die bekannte Burgstelle Ägerten am Gurten.

An der Stelle des heutigen Käfigturms ist nun der ursprüngliche Torzugang eines keltischen Berns zu suchen, und dahinter hätte ein Oppidum gelegen. Dieses müßte den Abschnitt des Hochplateaus zwischen Käfigturm und Zytglogge eingenommen haben, in der konventionellen Stadtgeschichte der Platz der „Neuenstadt" oder „Savoyerstadt" (vgl. Abbildung 5).

Eine rundliche oder abgerundete Begrenzung des keltischen Ortes kann begründet werden.

Durch Vergleich mit anderen keltischen Plätzen leuchtet ein ursprüngliches Oppidum im oberen Teil der Aare-Schlaufe von Bern ein. Als Beispiel seien Bremgarten an der Aare bei Bern und Bremgarten an der Reuss im Aargau genannt. Beide Orte sind innerhalb gleichartiger bauchiger Flußwindungen angelegt. Und bei beiden Plätzen wurde die Burg und das Städtchen an der engsten Stelle der Windung angelegt – nicht im weiten Teil der Windung, die unbesiedelt blieb (vgl. Abb. 7).

Es ist in der Tat überzeugender, ein Oppidum in einer Enge anzulegen, weil man dadurch mit einem geringen fortifikatorischen Aufwand einen weiten Flußbogen absperren konnte.

Bern: Altstadt oder Neustadt?

Klar ist, daß durch die Annahme eines Ankhs im Stadtgrundriß von Bern die bisherigen Grundannahmen der Stadtentwicklung durcheinander gewirbelt werden. Der „mittelalterliche" Ort hätte sich von der sogenannten „Neustadt" – der wahren „Altstadt" – nach beiden Seiten - nämlich zuerst nach Osten den Aarebogen abwärts, dann nach Westen - erweitert. Nicht die Neustadt, sondern der Bereich zwischen Nydegg und Zytglogge, wäre also als erste Stadterweiterung anzusehen. – Aber ist das mit den Befunden über die alten Befestigungen Berns zu vereinbaren?

Hier ist auch nach fünfzig Jahren Paul Hofers Monographie über Die Wehrbauten Berns (Hofer, 1953) noch immer grundlegend. Und vor allem mit seinen Erkenntnissen ist die Annahme einer „Neustadt als Altstadt" zu beurteilen.

Abb. 5: Mögliche Struktur eines keltischen Berns II
mit einem Ankh-Symbol

Bearbeitung: Autor

nach: Historischer Atlas der Schweiz; Aarau 1951, S. 16

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Für die neue These spricht, daß der Stadtabschluß gegen Westen auf der Höhe des heutigen Käfigturms die erste Stadtbefestigung ist, die sich einwandfrei nachweisen läßt: mit einem Haupttor, einer doppelten turmbewehrten Ringmauer und sowohl im Norden wie im Süden einer zurückgezogenen Haldensperrmauer zur Aare hinunter.

Dagegen spricht, daß Paul Hofer auf der Höhe des Zytglogge eindeutige Spuren eines ersten gemauerten Westabschlusses von Bern festgestellt hat. Auch diese Ringmauer war doppelt geführt. Im Unterschied zu den späteren Wehrbauten sind allerdings außer dem Tor keine Türme festgestellt worden. Auch ist die Mauerführung der Flanken im Norden und Süden mehr als hypothetisch: Neben einer winkligen bis runden Rückbiegung werden auch rechte Winkel angenommen.

Eine Ringmauer auf der Höhe des Zytglogge ist wegen der beiden vorgelagerten Einschnitte in das Hochplateau – welche natürliche Stadtgräben gebildet haben – sehr plausibel und muß existiert haben.

Als weitere Überlegung kommt hinzu, daß Berns Stadtstruktur – also besonders die geschwungene Form der Hauptachse und der Nebengassen – sowohl für den Abschnitt Nydegg bis Zytglogge und für die besagte Neuenstadt oder Savoyerstadt zwischen Zytglogge und Käfigturm wie aus einem Guß erscheint.

Das Buch von Klaus Humpert über die „mittelalterliche" Stadtplanung belegt an vielen Beispielen wie Freiburg im Breisgau, Villingen und Speyer, daß bei den angeblich „organisch" gewachsenen Krümmungen der Gassen und den verschobenen Gassenkreuzen eine bewußte Vermessung dahinterstand. – Auch für Bern ließe sich dies sicher nachweisen. Allerdings hat es der erwähnte Autor bei unserer Stadt mit einer provisorischen Skizze bewenden lassen (Humpert, 26).

Wenn sich eine erste „mittelalterliche" Westbefestigung Berns auf der Höhe des Zytglogge nicht wegdiskutieren läßt, so können neue Überlegungen der Geschichts- und Chronologiekritik bei diesem Problem weiterhelfen.

Bekanntlich wird für die abrupte Zerstörung der „römischen" Baukultur und für das Entstehen der heutigen spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Kultur und Geisteswelt eine erdgeschichtliche Katastrophe oder eine Serie von Katastrophen angenommen (Topper, 262 ff.; Pfister, Matrix, 379).

Im Städtebau habe ich schon vor einigen Jahren erkannt, daß die zentralen Orte in spätrömisch-romanischer Zeit im allgemeinen deutlich verkleinert wurden. Die ersten Städte in „nachkatastrophischer" Zeit haben häufig vorher besiedelte und bewehrte Flächen aufgegeben und alte Strukturen wie Amphitheater in die Mauerzüge eingebaut.

Eine solche Ausgangslage ließe sich auch bei Bern am Anfang der romanischen Zeit – meiner Meinung nach im im frühen 18. Jahrhundert – mutmaßen: Um mit geringerem Aufwand eine Stadt bewehren zu können, hat man das ursprüngliche Oppidum der „Neuenstadt" aufgegeben und einen Westabschluß auf der Höhe des Zytglogge gebaut. Diese Befestigung als Ausdruck einer verkleinerten Stadt scheint jedoch nicht lange bestanden zu haben, da der Ort bald wieder Platz zur Erweiterung brauchte. Und so wäre die „Neuenstadt" wiederum und diesmal endgültig zu einem Teil des alten Berns geworden.

Man könnte natürlich auch auf ein vorgeschichtliches Doppel-Oppidum spekulieren. Also daß sowohl die „Neuenstadt" wie die „Altstadt vom Zytglogge an abwärts – zwei befestigte Plätze gebildet haben. Aber hier muß es beim bloßen Gedanken bleiben.

Für die Hypothese der Neuenstadt als ursprüngliche Stelle des späteren Berns gibt es weitere Argumente. Doch wie eingangs gesagt wurde, sind innerhalb des Aare-Bogens die alten Strukturen vollkommen verwischt. Also wird Das älteste Bern, über welches bereits Hans Strahm 1935 ausführliche Überlegungen angestellt hat, weiterhin mit Mutmaßungen unterlegt sein. Endgültige Klarheit wird es nie geben. – Das ist mit allen Forschungsgegenständen der Vorgeschichte so.

Gleichwohl kann als sicher angenommen werden, daß in Bern und in seiner Landschaft ein Ankh als Geoglyphe eingemessen war.

Auch ergibt sich, daß die sogenannte Neustadt der ursprüngliche Kern oder wesentlicher Teil der antiken Stadtstruktur war.

Endlich ist die Entdeckung eines Ankhs in der Struktur von Aventicum und von Bern ein Beweis mehr, daß zwischen diesen beiden alten Orten eine enge Verbindung bestand.

Mehr noch läßt sich behaupten, daß das antike Bern zuerst von der großen Römerstadt im Waadtland, dem Waldgau abhängig war. – Ein Spannungsverhältnis zwischen den beiden zentralen Plätzen muß bestanden haben, auch wenn es sich heute nur noch in Andeutungen erahnen läßt.

Sicher kann man nicht bei allen alten Städten Europas einen Nilschlüssel nachweisen. Trotzdem ist allein die erneute Betrachtung der Pläne unter diesem Gesichtspunkt lohnend. Bei einigen Orten springt das ägyptische Symbol richtiggehend in die Augen, wie etwa das Beispiel von Reims (Durocortorum Remorum) zeigt (Abbildung 6).

Abb. 6: Plan des gallorömischen Reims
 (Durocortorum Remorum)

nach: Robert Bedon et al.: Architecture et urbanisme an Gaule romaine,

T. 2: L’urbanisme en Gaule romaine ; Paris 1988, p. 206 f.

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Das Ankh von Bremgarten bei Bern

In unmittelbarer Nähe von Bern hat Bremgarten – das alte Zentrum des keltischen Systems der Enge – ebenfalls überdeutlich die Symbolik eines Henkelkreuzes in seiner Vermessung. Mit einer Orientierung von 290° NW – die auch in einem Mauerzug in der Arena auf der Engehalbinsel festgeschrieben ist (Pfister, Berner Bär, 69) – wird die dortige Aare-Schlaufe zu einem Ankh-Griff, und die besagte Linie zu einem Stiel (vgl. Abbildung 7). Diese Achse läßt sich bis zur Burg Schloßberg bei La Neuveville am Bielersee verfolgen. Auch die Querteilung dieser Achse ist eindeutig; sie hat im Südwesten das Guggershörnli im Schwarzenburgerland und im NE Liestal als Ankerpunkt.

Abb. 7: Bremgarten bei Bern
mit seinen Ankh-Orientierungen

Grafik: Autor

nach: Hansjürgen Müller-Beck: Die Engehalbinsel bei Bern; Bern 1959/60

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Bern und der Gurten

Das Ankh von Bern zwingt auch zu einer Neubetrachtung der Position des alten Ortes im Aare-Bogen zu anderen Festungsplätzen in der Nähe.

Die Engehalbinsel mit Bremgarten stand auf alle Fälle mit Bern in einem besonderen Verhältnis.

Dabei sollte der Gurten als ursprünglicher Festungsplatz nicht außer Acht gelassen werden. Darüber habe ich den Artikel Der Gurten als ehemaliger Burgberg von Bern geschrieben.

Der bekannte Ausflugsberg südlich der Stadt war in vorgeschichtlicher Zeit sicher befestigt. Spuren sind zwar keine mehr sichtbar. Doch gab es am West-Ende, der höchsten Stelle des Berges und früher Standort einer Hochwacht, früher nachweislich einen Ringwall. Und am östlichen Ende des Hochplateaus, an der Stelle des heutigen Westsignals, kann man einen Abschnittwall annehmen.

Der Gurten ist als Ur-Bern anzunehmen. – Nun stellt man häufig fest, daß alte Städte, die in Niederungen angelegt sind, in ihrer Nähe ältere, auf Höhen angelegte Befestigungen hatten. In der Schweiz ist das eindrücklichste Beispiel wohl Zürich, das südlich davon auf dem Üetliberg ein mehrfach gestaffeltes weitläufiges keltisches Oppidum besaß. Die Befestigungen auf jenem Berg standen zu der Stadt an ihrem Fuß in einem bestimmten Verhältnis.

Wenn der Gurten also das älteste Bern darstellt, so muß der Ort in der Aare-Schlaufe nördlich an seinem Fuß die Unterstadt des Höhen-Oppidums gebildet haben. Neben „Burg" und „Stadt" gab es in vorgeschichtlicher Zeit häufig einen Gegensatz zwischen Ober- und Unterstadt, oder zwischen Burgberg und Niederburg. Auch für die Entwicklung des vorgeschichtlichen Berns war die Gegenwart einer älteren Höhenbefestigung vermutlich wichtiger als das Oppidum in den Aare-Windungen bei Bremgarten.

Bei dieser Gelegenheit soll noch einmal auf den Ursprung des Namens Bern hingewiesen werden (vgl. Berner Bär, 179). Wie alle Ortsnamen ist dieser erst seit der nachweisbaren Schriftlichkeit – der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts - bezeugt. Es muß vermutet werden, daß die Stadt an der Aare-Schlaufe erst dann diesen Namen bekam. Gut möglich, daß die Bezeichnung von Bremgarten (BRENO/DOR = BRENO = BERNO) genommen und der vorherige Namen verdrängt wurde. Bern aber könnte vorher Gurten geheißen haben. – Die Sache bedarf jedoch noch weiterer Überlegung.

Bern, der Gurten und Bremgarten sind als ein Verbund von Orten zu betrachten, die in alten Zeiten gleich einer Kette durch besondere Abhängigkeits- und Spannungsverhältnisse miteinander verbunden waren. – Und das „römische" Aventicum darf im Hintergrund und in größerer Entfernung nicht vergessen werden.

Literatur

Divorne, Françoise (1993): Bern und die Zähringerstädte im 12. Jahrhundert. Mittelalterliche Stadtkultur und Gegenwart; Bern

Geise, Gernot L. (2002): Europas Friedhof Ägypten? In: Efodon-Synesis, Heft 3, 2002, 4 - 10

Hofer, Paul (1991): Die Burg Nydegg. Forschungen zur frühen Geschichte von Bern; Bern

Hofer, Paul (1953): Die Wehrbauten Berns. Burg Nydegg und Stadtbefestigung vom 12. bis zum 19. Jahrhundert; Bern

Humpert, Klaus/Schenk, Martin (2001): Entdeckung der mittelalterlichen Stadtplanung. Das Ende vom Mythos der „gewachsenen Stadt"; Stuttgart

Müller, Angelika (2002): Die Symbolik des Ankh; in: Efodon-Synesis, Heft 5, 2002; 15 – 21

Pfister, Christoph (2021): Die Matrix der alten Geschichte. Analyse einer religiösen Geschichtserfindung; Norderstedt

Strahm, Hans (1935): Studien zur Gründungsgeschichte der Stadt Bern; Bern

Topper, Uwe (2001): Fälschungen der Geschichte. Von Persephone bis Newtons Zeitrechnung; München


Ch. Pfister, 7/2004 - 5/2005 - 13.9.2006, 2011, 2016, 2023